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Friesenherz

Friesenherz

Titel: Friesenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janna Hagedorn
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Mommeline oder Mommske, nachdem wir ein Wochendende in Berlin verbracht hatten.
    Merkwürdigerweise war mir erst vor Kurzem aufgefallen, dass »Mom« zugleich das englische Wort für »Mama« war. Es war ein bisschen so, als hätten wir uns von jeher »Mutti« und »Vati« ge nannt. So, wie Paare in der Generation unserer Eltern es getan hatten, etwa im Rentenalter. Nur, dass wir schon mit vierundzwanzig damit angefangen hatten. Ob das auch typisch für Pitta-Kapha war?
    Auf dem Boden unter mir konnte ich ein rotes Orchideenblütenblatt erkennen, das von der Dekoration heruntergefallen sein musste, und aus den Augenwinkeln sah ich Oses große bleiche Füße in weißen Plastiksandalen. Dann spürte ich den ersten Guss von warmem Öl auf dem Rücken und widerstand der Versuchung, nach der Uhrzeit zu fragen. Hoffentlich dauerte es nicht zu lange. Sowenig, wie ich es ertragen konnte, die Augen zu schließen, sowenig ertrug ich es, wenn ich nicht Herrin war über meine eigene Zeit.
    Ich bemühte mich um Entspannung und hing meinen Gedanken nach. Wie mein Leben wohl ausgesehen hätte, wenn ich Torge nicht getroffen hätte? Torge, das rettende Ufer, das Festland. Auf einem Drittsemesterfest im Physikalischen Institut hatte er mir einen Pappbecher Bier mit Limo ausgegeben, einfach so, obwohl wir uns nur vom Sehen in der Mensa kannten, und am Ende des Abends hatte er meine Hände genommen und gesagt: »Ich seh schon, ich seh.«
    Ich hatte nicht gewusst, was er meinte. Hatte nichts gesehen. Aber ich ließ mich von ihm küssen, und damit war eigentlich schon alles klar. Schon an diesem ersten Abend, noch Wochen vor jenem schicksalhaften Wochenende im Haus seiner Eltern, an dem wir gemeinsam die Weichen stellen sollten, unabsichtlich und unwiderruflich, dem Wochenende, von dem an unser Leben eine gerade, übersichtliche Strecke in einem sicheren Gleisbett geworden war. Und dann dieser Anruf, zwei Wochen später, mit dem noch einmal alles ganz anders hätte kommen können.
    Aber daran wollte ich jetzt nicht denken. Ich wusste ja, wozu das führte. Ein Gefühl, als wäre ich eine alte schwarze Schallplatte mit einem Kratzer, an dem die Nadel festhing, während sie sich weiterdrehte, über Stunden, Tage, Jahre. Wie man diesen Plattenspieler stoppen konnte, das hatte ich bis heute nicht herausgefunden. Aber wie man den Ton herunterdrehte, damit man es nicht hören musste, das schon.
    Jetzt öffnete sich die Tür des Behandlungszimmers, und ein weiteres Paar Füße auf quietschenden Gesundheitslatschen näherte sich meiner Liege. Ich versuchte, mich umzudrehen, wurde aber von Ose sanft wieder in die Horizontale zurückgeschoben. »Pscht«, flüsterte sie und begann, mit ihrer Kollegin zu tuscheln. Dann spürte ich die zwei Händepaare der Masseurinnen auf meinem Rücken, synchron auf- und abwandernd, das Öl verteilend, als spielten sie ein vierhändiges Klavierstück. Nein, eigentlich eher so, als marinierten sie ein Schnitzel. Nach einer Weile bearbeiteten die beiden Frauen mich mit den Handkanten, so als sollte ich für einen Festtagsbraten zurechtgemacht werden. Und das mir, die ich seit Jahren kaum noch Fleisch aß.
    Von ferne hörte ich das Sirren eines startenden CD-Players, dann begann eine meditative Musik mit Sitar und Mönchsge sängen, ungefähr wie das, was ich mal in der Yogagruppe im Sportverein Alstertal gehört hatte, zu der meine Nachbarin mich geschleift hatte. Noch zwei Tage danach hatte ich die Mantras zu Gast in meinem Kopf gehabt, und sie waren die unangenehmsten Ohrwürmer, die mich jemals heimgesucht hatten, eintönig und leiernd. Schließlich hatte ich eine CD der Red Hot Chili Peppers aus den frühen Neunzigerjahren genommen und mir eine Radikalkur verpasst, bis der spirituelle Singsang im Oberstübchen endlich verstummt war.
    Gleich nachher wollte ich Torge anrufen und ihm von der Linsen suppenmassage berichten. Gar nicht so schlecht, mal ein paar Tage getrennt zu verbringen. Wenn das so weiterginge, würden wir genügend Gesprächsstoff bis Weihnachten haben.

5
    »Sie, Entschuldigung, Sie da!«
    Ich blieb stehen und drehte mich um. Hinter mir kam ein gehakt ein älteres Paar in identischen Windjacken den Gang entlanggelaufen, grün mit lila und silbrig glänzenden Aufnähern. Auch ihre Freizeitjeans und neu aussehenden Turnschuhe waren die gleichen. Die Frau war deutlich kleiner als ihr Mann, rundlich und rosig, und weil sie sich eingehakt hatte, musste sie immer zwei schnelle Trippelschritte machen,

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