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Friesenkinder

Friesenkinder

Titel: Friesenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Duenschede
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Strampler an. Niklas im Arm wiegend, stellte er sich ans Fenster und beobachtete, wie langsam die Morgendämmerung anbrach. Es schien ein schöner Tag zu werden, denn hinter der sich davonschleichenden Dunkelheit konnte man einen blauen Himmel erahnen. Plötzlich fiel ihm ein Gedicht von Storm ein, welches Marlene ihm letztes Jahr, hübsch aufbereitet, zum Nikolaus geschenkt hatte: ›Vom Himmel in die tiefsten Klüfte‹.
    Besonders die letzte Strophe hatte es ihm angetan und er flüsterte sie seinem Sohn ins Ohr, während sie beide still vor dem Fenster standen.
     
    »Ein frommer Zauber hält mich wieder,
    Anbetend, staunend muss ich stehn;
    Es sinkt auf meine Augenlider
    Ein goldner Kindertraum hernieder,
    Ich fühl’s, ein Wunder ist geschehn.«
     
    »Hier steckt ihr also!« Marlene war unbemerkt ins Zimmer getreten. Sie hatte sich ihren rosa Bademantel übergeworfen, ihre Haare waren noch total verwuschelt. Von hinten umarmte sie Tom und schmiegte sich an ihn. Sie war glücklich in diesem Augenblick und wünschte, die Zeit würde stehen bleiben. Doch der stille Augenblick währte nur kurz. Niklas hatte Hunger und begann zu schreien.
    »Sch, mein Kleiner«, flüsterte Tom ihm zu. »Es gibt gleich Frühstück. Papa jagt ein paar Brötchen und Mama eröffnet schon mal die Milchbar«, grinste er, während er Marlene das schreiende Kind hinhielt.
    »Vielen Dank. Es ist toll, auf solch essenzielle Dinge reduziert zu werden«, schmollte Marlene und setzte sich mit Niklas auf den Sessel.
    Tom zog sich inzwischen an und machte sich dann auf den Weg zum Bäcker. Er war noch nie so früh im Dorf unterwegs gewesen. Jedenfalls nicht, um Brötchen zu holen, und er hoffte, der Bäcker hatte überhaupt schon auf.
    Doch erstaunt stellte er fest, dass bereits reichlich viele Leute im Dorf unterwegs waren. Ob die alle Kinder haben, wunderte er sich.
    Beim Bäcker war jedenfalls die Hölle los. Er bekam kaum einen Parkplatz und musste ein ganzes Stück entfernt am Straßenrand halten.
    Als er aus der kalten Morgenluft in den überhitzten Laden trat, beschlugen die Gläser seiner Brille, die er neuerdings beim Autofahren tragen musste. Er setzte sie ab und blinzelte. Vor ihm standen bereits vier weitere Kunden und warteten auf die Verkäuferin, die gerade im angrenzenden Nebenraum Briefmarken verkaufte. In den Bäckerladen war eine Filiale der Post integriert, daher auch der Name Bäckerpost.
    Um die Wartezeit zu überbrücken, griff Tom nach dem Nordfriesland Tageblatt, das auf dem Verkaufstresen auslag und von dem ihm die Schlagzeile ›Brauner Terror in Nordfriesland‹ entgegenprangte.
    »Eine Schande is dat«, kommentierte ein älterer Herr mit Pudelmütze den Bericht auf der Titelseite, noch ehe Tom die Chance hatte, dem Text weitere Einzelheiten zu entnehmen.
    Der Mann fühlte sich anscheinend durch Toms Nicken aufgefordert, weitere Kommentare abzugeben, und über Tom ergoss sich eine Schimpftirade auf diese Kerle, die anscheinend aus der Vergangenheit gar nichts gelernt hatten, und auf die Polizei, die dem Treiben dieser Neonazis nichts entgegensetzte.
    Tom nickte lediglich weiter, fragte sich jedoch, ob nicht ebenso jeder Einzelne von ihnen dafür verantwortlich war, dieses Gedankengut auszurotten und der braunen Gesinnung Paroli zu bieten. Aber der Pudelmützenmann ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen und als der Redeschwall endlich verstummte, war er an der Reihe und orderte seine Brötchen.
    »Zwei Kieler und drei Vollkorn. Und die Zeitung nehm ich auch.«
    Tom zahlte und verließ den Laden. Noch auf dem Weg zum Auto schlug er die Zeitung auf. Nun wollte er doch endlich ganz genau wissen, wie weit das braune Gedankengut angeblich in Nordfriesland verbreitet war.
    Eigentlich hatte er ja immer gedacht, hier in Risum lebten sie fernab solcher Einstellungen , aber die Ereignisse der letzten Tage, insbesondere der Übergriff auf Haie, hatten ihn eines Besseren belehrt. Und insgeheim musste er dem Berichterstatter recht geben. Gerade Jugendliche waren hier oben aufgrund von Arbeitslosigkeit und dem mangelnden Angebot an Freizeitaktivitäten für derartige Gruppen eine leichte Beute. Obwohl es natürlich auch immer eine Frage der eigenen Einstellung war, alles konnte man den äußeren Umständen wirklich nicht in die Schuhe schieben, denn gerade in der letzten Zeit hatte besonders die Gemeinde viel Geld in die Kinder- und Jugendarbeit investiert.
    Er schlug die Zeitung wieder zu, dabei fielen einige Werbeblätter heraus.

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