Friesenkinder
ihrer Stelle hätte lieber zunächst einmal zu Hause ankommen, die Tasche in Ruhe auspacken und sich von der Reise ausruhen wollen, aber Magda Thamsen war da anders. Sie liebte es, Dirk und die Enkel um sich zu haben, zumal das in der letzten Zeit deutlich weniger geworden war. Sie war ihnen nicht böse. Dirk hatte durch den Posten als Dienststellenleiter nun mal mehr zu tun und die Kinder wurden einfach größer und selbstständiger. Anfänglich hatte sie das verunsichert. Ihre Rolle war immer die der treu sorgenden Ehefrau und allzeit bereiten Oma gewesen und erst langsam hatte sie sich daran gewöhnt, dass sie auch einmal an sich denken konnte. Dennoch würde sie Dirk niemals ohne Bewirtung fortschicken.
Und der war dankbar für das Angebot. Er liebte Kaffee und der seiner Mutter schmeckte einfach besonders gut. Nur zu gern ließ er sich von ihr in die Küche schieben und nahm auf der Eckbank Platz, während Anne im Wohnzimmer fernsah.
»Und seid ihr weitergekommen in dem Mordfall?« Im Gegensatz zu seinem Vater, der nie besonders großes Interesse an Dirks Arbeit gezeigt hatte, wollte Magda Thamsen immer wissen, welchen Fall ihr Sohn gerade bearbeitete. Doch die gekrauste Stirn und das leichte Seufzen ließen sie die Antwort schon erraten. Trotzdem ließ sie Dirk von den Ereignissen der letzten Tage berichten, da sie den Eindruck hatte, es tat ihm gut, darüber zu sprechen.
»Und diesem Anführer hast du noch nicht auf den Zahn gefühlt?«
Wieder ließ Dirk ein Seufzen hören. »Ich habe ja nicht wirklich etwas gegen den in der Hand. Und ich habe Angst, ihn bei einer Befragung erst recht aufzuscheuchen.«
»Na ja, aber wenn du ihn nicht zur Rede stellst, wirst du nichts rausfinden.«
Da musste Dirk seiner Mutter allerdings recht geben. Trotzdem sträubte sich in ihm irgendetwas gegen einen Kontakt zu Ole Lenhardt. »Die sind gefährlich.«
Seine Mutter nickte, während sie ein Ei aufschlug, das sie zu dem Kaffeepulver in den Filter tat. »Mörder sind eigentlich immer gefährlich. Das ist doch dein Job. Du jagst seit Jahren Verbrecher. Was ist los?«
Dirk fühlte sich ertappt, obwohl ihm selbst bewusst war, wie sehr er zögerte, sich näher mit den Neonazis zu beschäftigen. Irgendwie wollte er in dieser braunen Brühe nicht herumrühren, aber er wusste, von allein würde sich das Problem nicht lösen. Und letztlich konnte er nicht anderen einen Vorwurf machen, sich nicht gegen diese Typen zu wehren, wenn er selbst nicht bereit war, etwas zu unternehmen.
»Es ist nur …«, er stockte, da er seine Bedenken nicht in Worte fassen konnte.
»… weil du bei einem Mörder oftmals das Motiv nachvollziehen kannst? Und bei diesen Neonazis die Motivation nicht verstehst?« Magda Thamsen blickte ihn an.
»Vielleicht.«
»Dirk, da gibt es nichts zu verstehen. Da kannst du lang nach einem Grund suchen. Du wirst keinen für dich plausiblen finden. Weil es keinen gibt. Trotzdem musst du diese Kerle bekämpfen. Du kannst nicht zulassen, dass die sich hier breitmachen.« Sie blickte ihn mit festem Blick an.
Seine Mutter hatte über ihre Erfahrungen im Krieg nie gesprochen. Schließlich war sie noch ein Kind gewesen, hineingeboren in das Nazi-Deutschland. Doch ihrem Blick konnte er entnehmen, dass sie wusste, wovon sie sprach.
Plötzlich vibrierte sein Handy in der Hosentasche. »Entschuldigung«, murmelte er und lief in den Flur, während er das Gespräch entgegennahm.
»Hier ist Tom«, meldete sich der Freund, »du glaubst nicht, was ich heute Morgen als Beilage im Nordfriesland Tageblatt gefunden habe.«
Dirk hatte keine Vorstellung, was ihn derart aufregte, aber es musste dringend sein, ansonsten hätte er nicht so aufgebracht geklungen.
Er versuchte gar nicht erst zu erraten, was in der Zeitung gelegen hatte. »Was war es, Tom?«, fragte er daher ohne Umschweife.
»So ein Flugblatt von diesen Nazis!« Thamsen schluckte. Seine Mutter sollte recht behalten, er konnte das nicht länger ignorieren.
»Ich komme gleich.«
»Und, was hat er gesagt?« Marlene stand vor Toms Schreibtisch und hielt Niklas im Arm. Nachdem Tom das Flugblatt entdeckt hatte, war er nochmals zurück in den Laden und hatte den Stapel Zeitungen durchwühlt. Die Bäckersfrau hatte ihn fragend angesehen, doch als er aus jedem Exemplar eines dieser Blätter herausgezogen hatte, war sie leichenblass geworden. »Das gibt es doch gar nicht«, hatte sie geflüstert.
Zu Hause hatte Tom Marlene das Flugblatt gezeigt. Es war ihre Idee gewesen,
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