Friesenkinder
Pressemitteilung, die er am Morgen verfasst hatte. Die Husumer Beamten überflogen den Text.
»Ist ja nicht besonders konkret«, urteilte Lorenz Meister und legte das Blatt zur Seite.
»Es gibt auch kaum etwas Konkretes«, verteidigte Dirk seine Mitteilung. Er wollte die Pressekonferenz ja gerade dazu nutzen, eventuell an weitere Informationen zu gelangen und vielleicht sogar Aussagen oder Anzeigen gegen die Gruppe Rechtsradikaler zu bekommen.
»Aber wenn der Aufruf morgen gedruckt wird, braucht ihr auch einen Telefondienst.«
»Das lasst mal meine Sorge sein«, entkräftete Thamsen das Argument und blickte direkt zu Gunter.
»Also ich weiß nicht«, entgegnete nun der andere Beamte. »Durch die Mitteilung wird ganz klar, dass wir keinerlei Hinweise auf den Mörder haben.«
»Und auch sonst nichts gegen diese Kerle«, fügte Thamsen hinzu. »Aber vielleicht können wir durch den Aufruf jemanden bewegen, endlich mal den Mund aufzumachen.« Er war immer noch verärgert über das Verhalten der Arzthelferinnen. Ebenso wie über das Schweigen der Witwe. Auch wenn sie Angst hatte, wollte sie denn nicht, dass der Mörder ihres Mannes gefasst wurde und hinter Gitter kam?
»Oder wir scheuchen die Typen noch mehr auf«, gab der Husumer Kollege zu bedenken.
Augenblicklich musste Dirk an Haie denken. Natürlich bestand die Gefahr, die Gruppe könne sich nach dem Bericht erst recht rächen wollen. Den Freund hatten sie ja schon bedroht. Dennoch sah er es als Möglichkeit, Hinweise zu bekommen.
»Wie schätzt du das ein?«, wandte er sich an seinen Mitarbeiter. Der zuckte bei der Ansprache merklich zusammen.
»Nun ja«, Gunter Sönksen räusperte sich. »So oder so wird die Gruppe weiterhin Übergriffe verüben. Momentan sind die ja recht aktiv.«
»Also doch ein Fall für den Verfassungsschutz?«, warf Thamsen ein.
»Nein, nein, so schlimm ist es, glaube ich, nicht.« Gunter Sönksen schoss das Blut ins Gesicht. Man konnte förmlich dabei zusehen, wie sich die Röte bis zu den Haarwurzeln ausbreitete. Thamsen vermutete natürlich, der Mitarbeiter sagte das nur zum Schutz seines Sohnes, der ja in dieser Gruppe aktiv war. Die Husumer Kollegen, die von all dem nichts wussten, sahen das dennoch ähnlich wie Sönksen und aus einem unerklärlichen Grund ließ Thamsen die Sache auf sich beruhen. Er blickte auf seine Armbanduhr und rappelte sich auf.
»Wir müssen los! Die Meute wartet!«
»Und du meinst, die Kindesentführung und der Mord könnten etwas miteinander zu tun haben?«
Haie saß auf der Eckbank in Tom und Marlenes Küche und blickte die Freunde fragend an. Er war nach Feierabend bei ihnen vorbeigekommen – eigentlich, um sein Patenkind zu sehen. Doch da Niklas schlief, hatte Marlene Haie kurzerhand zum Abendbrot eingeladen. »Später wird er sowieso noch mal wach«, hatte sie erklärt und einfach ein paar Scheiben Brot mehr geschnitten.
Nun saßen sie vor dem gedeckten Tisch und diskutierten über einen möglichen Zusammenhang zwischen dem entführten Baby von Miriam Kuipers und dem ermordeten Arzt.
»Na ja, es kann natürlich Zufall sein. Aber was die Hebamme heute gesagt hat, ließ mich irgendwie stutzen.«
»Weil Dr. Merizadi sich nicht persönlich um sie gekümmert hat?« Haie sah da immer noch keinen Zusammenhang und Marlene konnte ihm natürlich keine Beweise liefern. Aber ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass da etwas nicht stimmte. Wer waren die anderen Patientinnen? Die, um die sich der Doktor persönlich gekümmert hatte. Marlene kannte das von ihrer Ärztin nicht. Alle schwangeren Patientinnen, die sie dort getroffen hatte, waren von einer der empfohlenen Hebammen betreut worden. War doch eigentlich normal, dachte sie. Und wann hätte Frau Doktor sich auch die Zeit nehmen sollen? Gut, Frau Liebermann führte keine künstlichen Befruchtungen durch, aber trotzdem, sofern eine Schwangerschaft bestand, ob jetzt künstlich herbeigeführt oder auf natürlichem Wege entstanden, war doch die Hebamme für die Vorbereitung der werdenden Mutter und die Nachsorge nach der Geburt zuständig, oder?
»Wie lang machte der Merizadi das denn schon?«, mischte Tom sich nun ein. »Ich meine, wenn es seine ersten Patientinnen waren, ist es vielleicht verständlich, wenn er sie persönlich betreut hat.«
Marlene zuckte mit den Schultern und griff sich noch ein Stück Käse. Seit sie stillte, hatte sie ständig Hunger.
Sie wussten so gut wie nichts über diesen Arzt. Außer dass er ausländischer Abstammung war,
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