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Friesenkinder

Friesenkinder

Titel: Friesenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Duenschede
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Tom interessierte sich nicht sonderlich für derartige Anzeigenblättchen, bückte sich dennoch, denn schließlich konnte man den Dreck nicht auf der Straße liegen lassen. Als er das Papier zusammenschob, stach ihm ein Blatt plötzlich ins Auge. Es war kein Hochglanzprospekt oder eines dieser bunten Blättchen, die mit tollen Angeboten lockten, sondern ein kopiertes Blatt mit einer Naziflagge. Zuerst nahm er an, es sei ein Aufruf, sich gegen die neonazistischen Vorkommnisse zu wehren und dem braunen Terror Einhalt zu gebieten, doch als er die Zeilen auf dem Blatt las, wurde ihm ganz anders.
     
    ›Blood & Honor
    Macht dem deutschen Volk keine Schande!
    Deutschland muss sauber bleiben –
    daher Ausländer raus!
    Zeugt nur reinrassige Kinder! Das deutsche Volk
    braucht sie! Ebenso wie den Nationalsozialismus!
    Jetzt!‹
     
    Thamsen blieb keuchend stehen. Seine Lunge brannte, als wollte sie ihm gleich aus dem Leib springen, und Seitenstiche hatte er auch. Er war viel zu schnell losgelaufen, doch der Ärger über das Telefonat am Morgen und das eiskalte Schmuddelwetter hatten ihn angetrieben.
    Der Mechaniker von der KFZ-Werkstatt hatte ihn bereits um 7:30 Uhr aus dem Bett geklingelt und die Hiobsbotschaft überbracht, dass sein Wagen einen totalen Motorschaden habe und sich eine Reparatur angesichts des Alters des Kombis kaum lohnen würde.
    »Mist!«, hatte Thamsen laut geflucht und den ersehnten Spanienurlaub schon den Bach runtergehen sehen. Verärgert hatte er sich in seine Laufschuhe gequält und war vor die Tür getreten. Erst da war ihm das schlechte Wetter aufgefallen. Kein Wunder, wenn Anne lieber im Bett geblieben war.
    Dieser Tag hatte genauso beschissen angefangen, wie der gestrige zu Ende gegangen war.
    Nachdem er Gunter mehr oder weniger überrascht hatte, gestand dieser ihm, den einen oder anderen Bericht geschönt zu haben.
    »Aber die Jungs haben wirklich nichts damit zu tun!«, hatte er zu seiner Verteidigung hervorgebracht. Thamsen wusste, Gunter hatte wahrscheinlich nur seinen Sohn schützen wollen. Er war selbst Vater und vielleicht hätte auch er in der Situation zumindest darüber nachgedacht, den einen oder anderen Hinweis in einem Bericht zu ›vergessen‹. Aber trotzdem, durchgehen lassen konnte er das dem Kollegen nicht.
    »Ich muss dich vorläufig vom Dienst suspendieren«, hatte er Gunter Sönksen mitgeteilt und ihm Dienstwaffe und Marke abgenommen.
    Das Dumme war nur, er verfügte ohnehin über zu wenig Personal und den Husumern musste er den Fall auch irgendwie erklären. Wie hatte er das Ganze nur so schleifen lassen können? Schon bei dem ersten Hinweis Haies in Bezug auf Lars Sönksen hätte er viel härter durchgreifen und seinen Mitarbeiter von dem Fall abziehen müssen. Doch irgendwie hatte er versucht, die Tatsachen zu verdrängen und sich insgeheim vor der Verantwortung gedrückt. Nun würde es auf jeden Fall eine Menge Ärger geben.
    Er stöhnte und blickte sich um. Weit war er noch nicht gekommen. Kaum einige Hundert Meter zwischen den Feldern hinter der Wehle raus. Langsam trabte er wieder an.
    Im Prinzip musste er sämtliche Berichte und Aussagen nochmals überprüfen. Und was, wenn es Anzeigen gegeben hatte, die Gunter ebenfalls unter den Tisch hatte fallen lassen? Dieser hatte ihm zwar versichert, lediglich Hinweise auf seinen Sohn aus den Berichten entfernt zu haben, aber den wenigen Gesprächsfetzen nach zu urteilen, die er gestern aufgeschnappt hatte, konnte er sich gut vorstellen, wie die Freunde seines Sohnes auch ihn bedroht hatten und er daher doch weitere Vergehen nicht gemeldet hatte. In den Unterlagen hatte Thamsen nämlich so gut wie nichts gefunden, was auf den Anführer der Gruppe Ole Lenhardt hinwies. Stets hatte man die Taten der Gruppe aus Neumünster zugeschrieben, obwohl genaugenommen gar keine Verbindung nach Nordfriesland bestand, oder? Er beschloss, bevor er heute seine Mutter von der Bahn abholte, noch einmal in die Dienststelle zu fahren, um die Akten mitzunehmen und am Wochenende erneut genauestens durchzugehen. Außerdem würde er Gunter noch einmal zur Rede stellen.
    Nicht auszudenken, wenn er jetzt, da er wusste, dass Informationen unterschlagen worden waren, nicht genau hinschaute. Erneut blieb er stehen und blickte sich um.
    Dieses Land schien so friedlich. Es war seine Heimat. Hier war er aufgewachsen. Er wollte keine Verbrecher in dieser unglaublich schönen Gegend. Deshalb war er Polizist geworden. Er wollte dieses Märchenland bewahren.

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