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Friesenkinder

Friesenkinder

Titel: Friesenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Duenschede
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Augen sich an die schummrige Umgebung gewöhnt hatten, kurz darauf schlich er den Flur entlang. Eine der hinteren Türen am Gang stand offen und er konnte einen Lichtstrahl erkennen. Da war doch jemand, oder? Jemand, der sein Haus derart verrammelte, weil er wegfuhr, würde sicherlich nicht das Licht brennen lassen. Er spürte, wie sein Herz plötzlich bis zum Hals pochte. Vorsichtig tastete er sich weiter.
    Da war es wieder, dieses Knarren. Aber diesmal hinter ihm. Er drehte sich um und im gleichen Augenblick spürte er den Schmerz. Dann wurde es dunkel um ihn herum.
     
    Thamsen lehnte sich in seinem Stuhl zurück und rieb sich die brennenden Augen. Es war spät geworden, die Geschichte, die Sonja Andersen zu erzählen gehabt hatte und die die anderen Frauen aus dem Haus bestätigt hatten, war wirklich lang gewesen. Lang und unfassbar.
    Ole Lenhardt und seine Kumpanen hatten, wie es bereits ihre Vermutung war, Dr. Merizadi erpresst. Sie hatten dem Arzt gedroht, wenn er ihnen keine arischen Kinder züchte, ihm und seiner Familie etwas anzutun. Zur Demonstration ihrer Macht hatten die Kerle die Ehefrau besucht und ihr unmissverständlich klargemacht, dass es, wenn ihr Mann nicht kooperiere, Ärger geben würde.
    Zunächst seien es wohl wirklich die Freundinnen von Ole und seinen Kumpeln gewesen, denen unter Berücksichtigung bestimmter Erbmerkmale Embryonen aus dem Reagenzglas eingepflanzt wurden. Die Eizellen stammten von ausgewählten Frauen aus den Neonazikreisen, der Samen immer von Ole, der sich mit besonders arischen Merkmalen wohl als gesegnet empfand. Später hatten sie hin und wieder auch auf Eizellen von Patientinnen aus der Praxis zurückgegriffen, sofern sie sich denn nach mehreren Gentests als tauglich erwiesen. Die Behandlungen fanden meist abends oder sogar nachts statt, damit die Arzthelferinnen möglichst nichts davon mitbekamen.
    »Aber wieso hat Ole Lenhardt denn die Kinder nicht selbst gezeugt?« Thamsen verstand den Aufwand, den die Neonazis betrieben hatten, nicht. Es wäre doch viel einfacher gewesen, wenn er mit den Frauen geschlafen hätte. Oder hatte Ole Lenhardt etwa Skrupel gehabt, den Beischlaf mit den Freundinnen seiner Spezis zu vollziehen? Thamsen konnte sich das kaum vorstellen.
    Über das Gesicht von Sonja Andersen war ein leichtes Grinsen gehuscht. »Es gibt da so ein Gerücht, das besagt, Ole Lenhardt hätte Probleme mit…«, sie war leicht errötet. »Na, Sie wissen schon…«
    »Impotenz?« Sie hatte genickt und war fortgefahren mit den Schilderungen.
    Die Frauen wurden ganzheitlich und nur von Dr. Merizadi betreut. Auch entbunden wurde in der Praxis, die Geburt oftmals eingeleitet, damit der Zeitpunkt passte. Mal sollte es Hitlers Geburtstag sein, dann der von Himmler, Goebbels oder anderen von ihnen verehrten Nazigrößen.
    Die Kinder wurden alle zum Hof gebracht und dort gemeinsam nach den Vorstellungen der Neonazis aufgezogen. Das älteste Kind war mittlerweile zwei Jahre alt und beherrschte den Hitlergruß perfekt.
    In letzter Zeit waren die Kerle allerdings größenwahnsinnig geworden, wahrscheinlich, weil alles so gut lief. Schließlich war Dr. Merizadi Spezialist auf dem Gebiet, selten gab es Abstoßungen oder Fehlgeburten, die Rechtsradikalen waren zufrieden. Wollten aber mehr.
    »Und wie sind Sie nun an die Typen geraten?« Thamsen konnte immer noch nicht verstehen, warum die junge Frau sich mit diesen Kerlen eingelassen hatte.
    »Die haben mich angesprochen.«
    »Wo?«
    »Auf dem Arbeitsamt. Ich bin seit längerer Zeit ohne Job. Sie wissen ja, wie das hier oben ist. Wenige Arbeitsstellen für noch weniger Geld. Ich bin gelernte Bauzeichnerin, aber finden Sie da mal einen Job. Und die anderen Arbeitgeber wollen mich nicht. Ich sei zu überqualifiziert.«
    Zunächst habe sie verwundert den Kopf geschüttelt, als der Typ sie ansprach und fragte, ob sie 10.000 Euro verdienen wolle. Dann aber, als sie abends wieder vor ihrem leeren Kühlschrank gestanden hatte, war ihr der Zettel in ihrer Hosentasche eingefallen.
    »Aber das mit dem Geld war nur ein Bluff!«
    Zuerst hatten sie gesagt, sie würden einen Teil des Geldes bei Einnistung der Eizelle zahlen, den Rest nach der Geburt. Aber bis heute hatte sie keinen Cent gesehen.
    Sie musste eine Menge Tests über sich ergehen lassen, bis endlich feststand, ob sie in deren Augen geeignet war, erst dann hatte man ihr die befruchtete Eizelle eingepflanzt.
    »Aber Leihmutterschaft in Deutschland ist illegal. Wussten Sie das nicht?«

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