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Friesenschnee

Friesenschnee

Titel: Friesenschnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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lösten sich drei Gestalten vom Tresen. »Wir gehen rasch Hilfe holen.«
    Olli nickte Hans-Harald kurz noch einmal zu, zog sich die Kapuze über den Schopf und schloss sich ihnen an. Unbehelligt gelangte er mit den Zechprellern an die frische Luft.
     
     

Nach Venedig
     
    Der Fähranleger von Dagebüll war vielleicht nicht der Ort an der nordfriesischen Küste, der den Beginn einer ewigen Liebe zum Nationalpark Wattenmeer begründen konnte.
    Nach einer ereignislosen Autofahrt durch die Marsch stand Stuhr ein wenig verloren mit seinem Krabbenbrötchen auf dem Deich dieses verschlafenen Nestes. Sein Blick glitt vom Strandhotel zur Mole mit dem Fähranleger. Die Aufstellfläche mit den vielen Fahrspuren jenseits der Bahngleise, die den Hafen mit dem Eisenbahnnetz verbanden, war in den letzten Jahrzehnten ausgewuchert. Durch die Verlegung gefärbter Betonpflastersteine in den letzten Jahren sollte dieser Wartebereich offenbar aufgewertet werden. Leider hatte dabei ein futuristischer Bau mit Restauration den kleinen sensationellen Imbiss im Abfertigungsgebäude verdrängt, in dem früher die besten Pommes frites Deutschlands über den Tresen gereicht wurden. An diesem kultigen rauchgeschwängerten Ort hatte er vor Ankunft der Fähre mit Angelika oft noch einen Kaffee genossen, bevor sie mit der Autofähre nach Föhr übergesetzt hatten.
    Vermutlich wegen der verblichenen Frittenbude empfand er Dagebüll jetzt noch unspektakulärer als früher. Er bedauerte fast ein wenig die Feriengäste, die in diesem verschlafenen Nest Erholung suchten. Gerade jetzt bei Ebbe war der Blick über die schlickigen Wattflächen mit der schmalen Fahrrinne ausgesprochen unspektakulär. Er musste gähnen, was zugegebenermaßen weniger mit der Eintönigkeit der Landschaft, sondern mehr mit fehlendem Schlaf zu tun hatte.
    Aus zahllosen Steuerungsrunden zu alten Zeiten in der Kieler Staatskanzlei wusste Stuhr nur zu gut, dass der vor ihm liegende Hafen, der hauptsächlich von der Frequentierung durch die Fährschiffe der Wyker Dampfschiffs-Reederei und dem kleinen Sommerverkehr von einigen unabhängigen Schiffern zu den Halligen lebte, nur mühsam mit Staatsgeldern vor dem Verschlicken bewahrt werden konnte. Den jahrzehntelangen Wunsch der Insel- und Halligbewohner, den kleinen Hafen zur Verbesserung der Infrastruktur weiter auszubauen, kannte Stuhr allerdings auch aus zahllosen Beerdigungsrunden Erster Klasse in der Staatskanzlei. Natürlich waren die Wünsche der Inselbevölkerung nach Gleichstellung mit der Festlandsbevölkerung irgendwie nachvollziehbar, aber eine Mund-zu-Mund-Beatmung der Wattanrainer zu Lasten der Steuerzahler wollte und konnte sich letztendlich niemand im Land leisten.
    Wieder musste er gähnen.
     
    Die Träume, die ihn letzte Nacht durchgerüttelt hatten, waren kaum auszuhalten gewesen. Schweißgebadet war er mehrfach aus seinem Bett hochgeschossen, denn ausgerechnet Angelika war ihm im Traum erschienen. Zweifellos war sie eine intelligente und schöne Frau, und dazu verdiente sie noch ihr eigenes Geld. Mehr als er sogar. Gab es größeres Glück im Leben eines Mannes?
    Kinder hatten sie nicht zusammen, das hatte sich nicht ergeben und die wollte sie auch nicht. Dafür wäre sie nicht geschaffen, beteuerte sie immer wieder. Dabei hätte sich Stuhr mit ihr alles vorstellen können, zumal er sich Kinder immer als liebenswerte Wesen vorgestellt hatte, die nach dem Abendessen wie Zombies freiwillig ins Bett wankten.
    Stuhr versuchte mehrfach mühselig, sich in eine angenehme Situation mit Angelika einzudenken, die ihn wieder in den Schlaf zurückfinden ließ, aber die ergab sich nicht. Als er zum Wecker blinzelte, war es noch keine vier Uhr. Eine grauenhafte Zeit zum Aufwachen. Warum raubte ihm ausgerechnet Angelika den wohlverdienten Schlaf?
    Kaum hatte er die Augen geschlossen, da tauchte sie wieder auf. »Komm, Helge. Höre auf damit. Bei vollen Bezügen in den Ruhestand geschickt zu werden, das ist doch grandios. Andere würden sich alle Finger danach lecken. Du musst dem Schicksal dankbar sein.«
    Hinter ihr tauchte überraschend sein Vater in den Wirren des Kriegsendes auf, der, humpelnd nach einem Fußschuss, versuchte, sich über die Tschechei in die zertrümmerten Reste des Deutschen Reiches zu retten. Konnten die beiden sich überhaupt kennen? Stuhr bekam das im Traum nicht aufgelöst und schreckte wieder hoch.
    Er musste ein wenig geschlafen haben, aber zum Aufstehen war es immer noch zu früh. Sein Kopf sank

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