Friesenschnee
Dann würden vermutlich auch andere Dinge aufgedeckt werden.
Vielleicht hatte ihr Vater inzwischen ja auch geplaudert, schließlich hatte er sie beide nach einer wilden Nacht einmal in der Koje erwischt.
Kerstin öffnete die Augen und blickte irritiert. Petra ging behutsam auf ihre aufgewühlte Stimmung ein. »Beruhigen Sie sich, Kerstin. Ich kenne das auch. Kein Meer ist so tief wie die Liebe, und Sie haben sich ganz tief hineinfallen lassen.«
Kerstin schluchzte auf. Dann öffnete sie die Augen und taxierte vorsichtig ihr Gegenüber. Petra Bester konnte keine schlichte Redakteurin sein, denn sie behielt entgegen der Sensationsgier der sonstigen Presse völlig die Ruhe. Sie musste etwas Besseres sein.
»Petra, bin ich nicht schon viel zu tief gefallen? Schauen Sie sich doch meinen geschundenen Körper an. Es ist furchtbar.«
Ihr Gegenüber setzte das Gespräch behutsam fort. »Sicherlich sind Sie tief gefallen, Kerstin. Es ist ein Wunder, dass Sie nicht untergegangen sind. Ich meine dabei nicht die schlimmen Verletzungen, die man sehen kann. Ich denke an die Dinge, die von Ihnen bisher nicht ausgesprochen worden sind und die jetzt an Ihnen nagen. Sie haben bei mir die Möglichkeit, sich von diesen Dämonen zu befreien und sich vor dem Untergang zu bewahren. Ich kann Ihnen helfen, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen.«
Diese Journalistin wusste wohl schon alles. Kerstin schloss die Augen vor Scham. »Sie wollen mir wirklich helfen, Petra?«
Petra Bester wiederholte ihr Angebot nicht, und Kerstin wurde klar, dass sie jetzt in Vorleistung gehen musste. Vermutlich konnte ihr nur noch die Flucht nach vorne helfen, um sich einigermaßen mit Anstand aus der Affäre zu ziehen.
Kerstin öffnete wieder die Augen und suchte bewusst den Blick der Journalistin. »Sie meinen die Sache mit den Drogen, richtig?«
»Richtig, Kerstin. Soweit wir in Erfahrung bringen konnten, ist bei Halbedel posthum massiver Kokainkonsum festgestellt worden. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass er das auch bei Ihnen durchgezogen hat. Vielleicht sogar mit Ihnen, wer weiß?«
Auch wenn es weh tat, so schüttelte Kerstin den Kopf. »Nein, ich habe das Zeug nie angefasst, auch wenn Robert es mir mehrfach andrehen wollte. Diese kleinen, teuflischen Briefchen. Sagen Sie, gilt die Kronzeugenregelung eigentlich auch nach dem Tod eines Täters?«
Petra Bester stand auf und wurde geschäftig. »Das weiß ich nicht, aber diese Frage kann Ihnen gleich der gerissenste Anwalt der Stadt beantworten. Dr. Trutz wartet vor der Tür. Mein Angebot: Wenn Sie mir Ihre Geschichte vollständig erzählen, dann wird mein Verlag den Rechtsbeistand für Sie übernehmen. Darf ich Dr. Trutz hereinbitten?«
Kerstin nickte. Das nahm Petra zum Anlass, die Tür zu öffnen. Wenig später federte ein elegant gekleideter Mann mit einem schwarzen Aktenkoffer zur Tür hinein. »Gestatten, Dr. Trutz. ›Tief im Schmutz, hilft Dr. Trutz‹. Meine Devise. Hier ist mein Kärtchen. Bitte tätigen Sie keine Aussagen ohne mich bei der Polizei. Anruf genügt, Tag und Nacht.«
Erleichterung machte sich bei Kerstin breit, wenngleich der Rechtsanwalt trotz der Entfernung nach ihrem Geschmack aus dem Mund ein wenig zu sehr nach Kaugummi roch. Trank er?
Doch es war ein gutes Gefühl, nicht mehr allein vor den Schicksalsbergen stehen zu müssen. Vorsichtig wendete sie sich wieder Petra zu. »Sind Sie mit Ihrer Geschichte denn schon zu Ende?«
Petra Bester blieb ehrlich. »Ja, denn das Ende kennen wir nicht. Das kennt nicht einmal die Polizei. Selbst die genauen Tatumstände am Wasserturm konnten bisher nicht aufgeklärt werden. Ich habe inzwischen einen sehr guten Informanten tief im Polizeiapparat, der mich auf dem Laufenden hält. Sie sehen, ich erfahre sowieso alles. Es ist nur eine Frage der Zeit. Wenn Sie mir dabei helfen, die Zeit zu verkürzen, dann werden wir Ihnen helfen. Es liegt also nicht an uns, sondern an Ihnen. Schießen Sie los, Kerstin.« Petra Bester zauberte ein Diktiergerät aus ihrem Hosenanzug und stellte es an.
Ein wenig enttäuscht war Kerstin schon, dass Petra sie jetzt in die Enge getrieben hatte, doch stockend begann sie, ihre Geschichte zu erzählen. Hatte sie eine andere Wahl? »Ja, sicher, ich habe von Robert Halbedels Drogensucht schnell gewusst. Wenn er vor dem Sex das Zeug nahm, führte er sich auf wie ein Tier und wurde oft grob. Ich bekam jedoch bald mit, dass er die Kieler Besuche neben dem Sex mit mir hauptsächlich dazu nutzte,
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