Friesenschnee
Vernehmungsfähigkeit von der Kramer zu vermelden.
Von Stuhr und Olli existierten zudem nach wie vor keine Spuren. Er verabschiedete sich und schmiss verärgert den Hörer auf das Basisgerät zurück. Dann schnappte er sich seinen Mantel.
Die Kramer, die würde er sich jetzt auf der Stelle vornehmen.
Und der resoluten Stationsschwester, der würde er am liebsten ein für alle Mal den Marsch blasen.
Kein Meer
Auf der spiegelnden Oberfläche des dampfenden Kaffees tanzten die quadratischen Oberlichter des Krankenzimmers. In den letzten Tagen hatte Kerstin Kramer diese nur verzerrt wahrgenommen, jetzt waren sie für Kerstin gut erkennbar. Lag es an den Medikamenten, dass sie ihre Umgebung wieder klar sehen konnte? Sie erschrak. Bewegte sich jetzt nicht die Tür?
Die Frau, die jetzt fast lautlos hereinschlich, hatte Kerstin noch nie gesehen. Sie war dunkelhaarig, schlank und bewegte sich elegant in ihrem sportlichen Hosenanzug. Sie hielt ihren Zeigefinger vor den Mund und setzte sich ungefragt zu ihr ans Bett.
»Hallo, Frau Kramer. Ihnen geht es besser, ist mir gesagt worden. Ich bin Petra Bester von der Kieler Rundschau. Ich möchte Ihnen gerne helfen.«
Die Kieler Rundschau las Kerstin nicht besonders gerne, aber Hilfe konnte sie vielleicht gebrauchen. So nickte sie kurz mit dem Kopf zur Begrüßung, auch wenn es weh tat.
Die Frau von der Zeitung grüßte zurück. »Ich habe einen Tipp bekommen, dass Sie mit einem bestimmten Hamburger Schauspieler befreundet waren, um es vorsichtig auszudrücken. Die Polizei wird Sie deswegen gewaltig unter Beschuss nehmen, sobald sie davon erfährt. Vertrauen Sie mir, ich kann Sie davor schützen.«
Trotz des schmerzenden Körpers fuhr Kerstin erschrocken hoch.
»Geht es Ihnen gut, Frau Kramer?«, fragte die besorgte Stimme von Petra Bester nach.
Kerstin nickte knapp, doch sie verschloss resignierend die Augen. Es musste herausgekommen sein. Konnte die Pressedame ihr tatsächlich dazu verhelfen, heil aus der Geschichte herauszukommen? Sie würde hören.
Die besorgte Stimme fragte nach. »Das Sprechen strengt Sie aber an, richtig?«
Das war richtig, aber es waren auch die Schmerzen darüber, was sie von der Krankenschwester in den letzten Stunden zu hören bekommen hatte. Roberts letztes Schauspiel auf dem Dach, der Sturz vom Turm. Es war das Stadtgespräch schlechthin.
Die Stimme unterbreitete zögerlich einen Vorschlag. »Frau Kramer, ich würde Ihnen gerne häppchenweise eine kleine Geschichte erzählen. Wenn sie nicht stimmt, dann unterbrechen Sie mich einfach. Wenn Sie mögen, dürfen Sie mich mit meinem Vornamen ansprechen. Einfach Petra, okay?«
»Gerne. Kerstin, wenn Sie mögen.«
»Gut, Kerstin. Wenn Sie nicht mehr zuhören wollen, dann gehe ich einfach wieder und bin nie hier gewesen. Einverstanden?«
Kerstin Kramer war gespannt.
»Nun, nachdem Ihre Freundin Claudi aus Ihrer Wohngemeinschaft ausgezogen war, sind Sie in ein tiefes Loch gefallen. Sie haben sich einsam gefühlt und begannen, Ihr Studium zu vernachlässigen. Sie haben sich viel in Kneipen herumgetrieben, und immer wieder haben Sie irgendjemanden mit nach Hause genommen. Sie wollten nicht alleine sein.«
Kerstin schwieg. Das waren ihre dunklen Jahre gewesen. Schon als junges Mädchen hatte sie ihr kleines Schwesterlein verloren, und irgendwann war auch die Mutter weg. Mit ihrem Vater war nur schwer auszukommen, der war manchmal wie ein Holzklotz. Es stimmte, sie wollte nicht mehr alleine sein. Ja, es war eine richtig wilde Zeit gewesen. Kerstin widersprach nicht, und so fuhr Petra Bester fort.
»Irgendwann lernten Sie nach den vielen Jungs einen richtigen Mann kennen, allerdings einen Künstler, aus Hamburg. Er war auch schon ein wenig älter, aber er hatte eine Aura, der Sie sich nicht entziehen konnten. Immer wenn er in Kiel war, nächtigte er bei Ihnen. Sie wollten zwar mehr von ihm, aber für ihn hatte die Kunst Vorrang. Er ließ sich nicht von Ihnen einfangen, Kerstin. Sein Name war Robert Halbedel.«
Kerstin Kramer stöhnte auf, aber eigentlich war sie erleichtert, dass der Name jetzt endlich gefallen war. All die Tage im Krankenbett war sie unruhig gewesen, denn es konnte nur eine Frage der Zeit sein, bis die Kripo sie seinetwegen verhören würde. Immer wieder hatte sie Strategien durchgespielt, was sie antworten sollte. Immer wieder verwarf sie ihre Überlegungen, denn die Tatsache, dass sie mit Robert im Bett gelegen hatte, würde früher oder später doch herauskommen.
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