Friesenschnee
Drogen zu verteilen.«
Behutsam fragte Petra nach. »Sie haben das mitbekommen? Und mitgemacht?«
Diese Fragen hatte sich Kerstin schon oft gestellt. Sie wollte Petra Bester gegenüber bei der Wahrheit bleiben. Sie vertraute ihr.
»Es war ein fester Kundenstamm, den er bediente. Er war immer knapp mit seiner Zeit gewesen, und so habe ich ihm zwei- oder dreimal sogar geholfen, die Päckchen unter die Leute zu bringen. Dann blieb mehr Zeit für die Koje. Ich habe mich damals sehr alleine gefühlt, Sie müssen das verstehen.«
Petra hakte ein: »Können Sie sich noch an die Adressen erinnern?«
Genau das konnte Kerstin nicht. Das musste von den Schlägen mit dem Knüppel herrühren. Bis gestern hatte sie nicht einmal eine Erinnerung, wo sie wohnte. Doch ein Ort fiel ihr jetzt plötzlich ein. »Nur schwammig, aber an ein Zimmer 408 im Studentenheim an der Bremerstraße kann ich mich noch erinnern. Ich musste mich damals nämlich dazu in den Männertrakt wagen. Den Namen weiß ich aber nicht mehr.«
Ungläubig blickte Petra Bester sie jetzt an. »Hatten Sie denn keine Skrupel, Kerstin?«
Skrupel? Nein, die hatte sie zunächst nicht gehabt, blind vor Liebe, wie sie war. Erst als sie bemerkte, dass Robert sie ausschließlich benutzte, um seinen Trieb zu befriedigen und unauffällig Stoff abzusetzen, da wurde sie zunehmend wortkarg und schließlich ablehnend.
»Nein. Ich war verliebt. Zunächst jedenfalls. Irgendwann bekam ich jedoch mit, dass es in Hamburg noch mindestens eine andere Frau gab, mit der er es trieb. Ich hielt Robert kurz. In der Folge kam er immer seltener zu mir, und nach einer hässlichen Auseinandersetzung mit ihm, in die auch mein Vater verwickelt war, habe ich neue Schlösser in meine Wohnungstür setzen lassen. Dann habe ich den kleinen Jock aus dem Tierheim zu mir geholt.«
Bei dem Gedanken an den kleinen Jock schossen Kerstin sofort die Tränen in die Augen, doch nach kurzer Zeit konnte sie ihre Geschichte zu Ende erzählen. »Langsam bin ich wieder zu mir gekommen, und das Leben bereitete mir wieder Freude. Und ausgerechnet dann muss mir das am Wasserturm passieren.«
Die Nachfrage der Journalistin war sehr leise. »Dort hat Sie Robert Halbedel niedergestreckt, richtig?«
Wieder musste Kerstin weinen. Dennoch erzählte sie tapfer weiter. »Nein, ganz anders. Beim Gassigehen war Jock plötzlich weg. Dann hörte ich dieses furchtbare Geräusch, als er erschlagen wurde. Ich konnte das zunächst nicht einordnen, doch schließlich fand ich ihn. Als ich sein blutendes Fell berührte, hörte ich plötzlich Roberts genervte Stimme.
›Was soll das denn? Wir wollen hier Geschäfte machen und keine Tiere quälen. Schmeiß das Mistvieh in das Gebüsch, bevor es jemand entdeckt.‹
Ich hoffte, dass Robert und der andere, die ich beide nicht ausmachen konnte, abhauen würden, aber ich ahnte schon irgendwie, dass sie mich bei Jock entdecken würden. Dann traf mich bereits der erste Schlag. Irgendwann hörte ich Robert entsetzt schreien. ›Nein, du Idiot. Das ist Kerstin. Lass sie in Ruhe und hau endlich ab. Wir sind fertig miteinander.‹«
Aufgeregt fragte Petra Bester nach. »Ist der Name des anderen Mannes gefallen?«
Kerstin Kramer ging tief in sich. »Mag sein, aber außer an die Gesprächsfetzen kann ich mich nur noch an die Dämmerphasen im Krankenhaus erinnern.«
Der Blick von Petra Bester war skeptisch. »Nicht geträumt, Kerstin? Ganz bestimmt? Halbedel war definitiv nicht der Täter?«
Kerstin drehte sich weg und beendete weinend ihre Erzählung. »Nein, es war leider kein Traum. Ich kenne Robert. Er war eigentlich ein sanfter Typ, ein richtiger Frauenversteher. Nur mit Koks wurde er grob. Vielleicht ist er abgehauen, weil er Angst hatte, als Täter verdächtigt zu werden. Ich weiß, dass er bisweilen Ärger mit der Polizei hatte. Sein Komplize war es, der mich fast zum Krüppel geschlagen hat. Ich frage mich nur, warum Robert mir nicht geholfen hat.«
Petra Bester wusste es besser. »Robert Halbedel war weder Gutmensch noch Frauenversteher. Er war mehrfach einschlägig vorbestraft. Er musste mit seiner sofortigen Verhaftung rechnen. Deswegen wird er seine Flucht angetreten haben.«
Die Redakteurin begann, Kerstins Haar zu streicheln. »Weinen Sie ruhig, Kerstin. Sie haben viel durchgemacht in der letzten Zeit. Wir stehen Ihnen bei. Es wird alles gut, glauben Sie mir.«
Jetzt mischte sich Dr. Trutz in das Gespräch ein. »Richtig, die Kieler Rundschau möchte Ihnen beistehen.
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