Friesenschnee
Für mich. Und ich will dich immer noch.«
Diese Ehrlichkeit überwältigte Stuhr. Er erhob sich und öffnete seinerseits die Arme, doch Angelika drehte kurz vor ihm um und ließ sich kraftlos wieder auf die Liege fallen. Sie begann zu weinen. »Meine Tochter liebe ich aber genauso über alles, und du bist ihr Vater.«
Stuhr rückte zu Angelika auf die Liege, um sie zu trösten.
Sie wehrte sich zunächst, doch irgendwann begann sie, sich wie ein kleines Kind behaglich in seinen Arm einzukuscheln. »Helge, mehr als ich braucht doch unser kleines Mädchen auch nicht von dir. Das Gefühl von Geborgenheit, Wärme und Nähe. Ist das denn zu viel von dir verlangt für meine großzügige Offerte?«
Obwohl Angelika nicht locker ließ, konnte Stuhr nicht aufhören, sie weiter beruhigend zu streicheln. Der kleine Teufel in seinem Gehirn fragte zwar an, warum er nicht mit dieser attraktiven und vermögenden Frau Frieden finden konnte, während das Engelchen wiederum die Vorzüge von Jenny Muschelfang anpries.
Stuhr entschied sich, Teufelchen und Engelchen zunächst gegenseitig untereinander ihren Kampf ausfechten zu lassen, bevor er sich ins Scharmützel hineinbegeben würde. Also ließ er sich zu Angelika auf die Liege herabsinken und kuschelte sich in alter Vertrautheit an sie heran. An ihren tiefen Atemzügen bemerkte er, wie sehr Angelika seine Nähe genoss. Er liebte den Geruch ihrer Haut.
Friedlich schlief er, eng an sie geschmiegt, ein.
H2O
Nicht jeder Mensch in Kiel hatte wie Hans-Harald Ohmsen das Privileg, im Düsternbrooker Gehölz in bester Hanglage wohnen zu können. Mit viel Disziplin hatte er es in kurzer Zeit geschafft, es zu einer Villa mit Seeblick zu bringen. Darauf war er stolz.
Doch diese Wohnlage brachte auch erhebliche Nachteile mit sich, wovon einfache Menschen nichts ahnen konnten. Denn bereits der abendliche Weg zur nächsten Tanke, um schnell noch etwas Edles zu trinken oder zu rauchen einzukaufen, das war in diesem Kieler Villenviertel fußläufig nicht möglich. Zum Glück konnte er es sich leisten, in der Bar des benachbarten Hotels Maritim aufzuschlagen oder sich treppabwärts in die Seebar zu begeben.
Morgens dagegen war er hart zu sich selbst. Mit der gleichen Disziplin, mit der er seine Villa realisiert hatte, begab er sich jeden Morgen auf eine Frühstücksrunde durch den Wald, um bei dem Bäcker in der Yorckstraße frische Brötchen und eine Bild-Zeitung zu erstehen. Es war für Ohmsen wichtig zu wissen, wie das Volk tickte.
Natürlich joggte Ohmsen nicht. Er war ein kultivierter Mensch, und so trat er seinen morgendlichen Gang in legerer modischer Kleidung an. Jedes Mal fühlte sich Ohmsen wohl, wenn er seinen Rundgang beendet hatte, wenngleich er meistens hinterher die Dusche aufsuchen musste. Auch heute Morgen bog Ohmsen wieder zufrieden schwitzend auf die Zielgerade in der Bismarckallee ein, doch anders als sonst war diese abgelegene Straße von vielen blausilbernen Polizeifahrzeugen bevölkert, deren Motorhauben auf seine Villa gerichtet waren.
Ohmsen bemühte sich, seinen geraden Schritt unauffällig in eine elegante Kurve abzuändern, die ihn direkt zum Eingang des Hotels Maritim führen sollte. Er würde hier frühstücken. Kaum hatte er die Hoteltüren durchschritten, da rief seine Haushälterin an. Sie bestätigte ihm, dass in seiner Villa gerade jede Zuckerdose umgedreht wurde.
Nun, finden würden sie natürlich nichts, dachte Ohmsen, aber vorsichtshalber sollte er besser von der Bildfläche verschwinden. Er musste zunächst seine Verbündeten sprechen. Lollo ging nicht ans Telefon, der schlief vermutlich noch. Aber auch Pimmels Telefon war dauerhaft abgeschaltet, was Ohmsen verwunderte, denn in seinem Gewerbe musste man ständig erreichbar sein. Nachdenklich machte sich Ohmsen an das üppige Frühstücksbuffet des Hotels. Er liebte Spiegelei mit gebratenem Speck, aber er legte sich nur wenig davon auf den Teller. So recht wollte sich der Appetit nicht einstellen.
Im Gegensatz zu den vielen Geschäftsleuten, die sich hinter den großen überregionalen Tageszeitungen versteckten, vertiefte er sich in die Lektüre seines Boulevard-Blattes. Man muss dem Volk aufs Maul schauen. Nach einer Ewigkeit klingelte endlich sein Handy. Es war Lollo. Ohmsen stand auf und eilte auf die Hotelterrasse. Lollos Stimme klang aufgeregt.
»Mensch, du glaubst nicht, was hier los ist. Der reinste Weltuntergang. Überall Bullen. Kannst du mich nicht hier herausholen?« Wie sollte Ohmsen
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