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Friesisch Roulette

Friesisch Roulette

Titel: Friesisch Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marvin Entholt
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krächzte.
    Eines Tages betrat Johann den Laden, die freundliche Fellweste sang ihm ihr »Moin« in einem klaren C-Dur entgegen, und der Mann war Musiker genug, um in Johanns Replik eine Nuance mehr Zuversicht als sonst auszumachen: Sein »Moin« stieg klar von unten auf, ebenfalls ganz Dur.
    Der Verkäufer ließ Johann Zeit, aber spürte, dass ihn auf den ersten Metern im Laden schon wieder der Mut verließ. Der Mann wusste, dass er etwas würde tun müssen.
    Â»Na, heute?«, fragte der Dünnhaarige sanft.
    Es entspann sich ein wortarmer Dialog, Johann fragte das Nötigste. Er war kein großer Händler, der Verkäufer aber auch nicht, und so fixierte Johann wenig später die Gitarre vorsichtig mit einem Expandergurt auf dem Gepäckträger seines Fahrrads. Es war die naturfarbene geworden. Die regenfeste Gitarrentasche hatte der Verkäufer ihm geschenkt.
    Vorsichtig wie noch nie lenkte Johann sein Rad Richtung elterlicher Hof.
    Er ließ sich nur kurz in der Küche zum Abendbrot nieder, das wie immer wortlos vonstatten ging. Das Geräuschvollste waren die Fliegen, die sich um einen freien Platz auf der Butter drängten, rhythmisiert vom Pendel der Wanduhr. Aus der Diele drang das Muh der Kuh.
    Johann stürzte seine Milch herunter, erhob sich unter mürrischem väterlichen und sorgenvollem mütterlichen Blick und schlappte hinaus in die Diele. Dort beschleunigte er seinen Schritt, eilte in die Scheune, griff sich die dort versteckte Ibanez und setzte sich auf einen Melkschemel.
    Er zündete sich eine Zigarette an und begann, auf der Gitarre herumzuzupfen. Spielen konnte er ja nicht. Noch nicht. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, dass er in diesem Moment aussah wie der sehr junge Bob Dylan.
    Ihm gelang der erste Akkord, und er versuchte, ihn sauber zu wiederholen – da flog mit einem Schlag die Tür des Stalls auf. Der Vater stand in der Türöffnung und versuchte, einen der vier Johanns, die vor ihm saßen, zu fixieren.
    Er ging, vermutlich da er sich nicht entscheiden konnte, welches der richtige war, schlingernd auf alle vier zu. Er erwischte den richtigen und griff sich dessen Gitarre. Er holte kurz aus und zerschmetterte das Instrument ohne Aufhebens auf dem Rand des Holzverschlags, der den Schweinekoben umgab.
    Der Korpus und der Hals barsten sofort, die Ibanez wurde zu Kleinholz aus Fichte und Mahagoni. Der Kopf der Gitarre zwirbelte an den Saiten durch die Luft, er traf den Vater schmerzhaft im Gesicht. Der kam Johann so nahe, dass der den beißenden Doornkaat-Atem seines Erzeugers spürte und sofort darauf auch dessen Hand: Der Vater verpasste ihm eine solche Ohrfeige, dass Johann ebenfalls gegen den Koben schlug und seine brennende Zigarette im weiten Bogen ins Stroh flog.
    Johann rappelte sich auf, suchte den glimmenden Stummel, trat ihn aus, und bevor er sich besinnen konnte, war der Spuk vorbei, der Vater davon, und vor ihm lag ein durch sechs Saiten nicht mehr wirklich zusammengehaltenes Häuflein Holz.
    Lange her. Johann verließ Elfi, die Erinnerungen würden wohl mit in die Küche kommen. Die Schuhe von Gummi auf Filz, Johann verharrte kurz vor der Wanduhr und überlegte, ob er sie zum ersten Mal seit dem Tod seines Vaters wieder aufziehen sollte. Er kratzte sich unwillkürlich am Oberarm an der Stelle, an der sein Tattoo saß, eine Gitarre in Flammen.
    Er ließ die Wiederbelebung der Uhr bleiben und setzte sich an den Küchentisch, vor sich die erste von mindestens sechs Flaschen Bier.
    Die Musikerinnerung verflog, und Johann dachte nach. Das hatte er lange nicht mehr getan, er hatte sich eigentlich vorgenommen, überhaupt nicht mehr nachzudenken. Nie mehr.
    Das war Teil seines großen Plans, und der schien nun durch diese dumme Angelegenheit durchkreuzt zu werden.
    Rückzug, nicht nachdenken, einfach leben. Und jetzt eine Leiche in der Scheune. Vielleicht war es keine gute Idee gewesen, sie zu vergraben, aber wo hätte er hinsollen mit dem leblosen Leib? Egal, nun war er da verscharrt.
    Vielleicht gibt der Boden nach, wenn er beginnt zu verwesen, dachte Johann, und plötzlich ging die ganze blöde Nachdenkerei los, die er doch vermeiden wollte.
    Könnte das Ganze etwas mit ihm zu tun haben? War es vielleicht kein Zufall, dass er die Schaufel über den Kopf und die Leiche in die Scheune gelegt bekommen hatte?
    Johann trank schnell, fast hastig, das Bier lief ihm das Kinn herunter.
    Er

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