Friesisch Roulette
zusammenzuleben konnte ja auch keine Lösung sein.
Vielleicht sollte er ihn selbst wieder ausgraben und anderswohin schaffen. Aber wohin? Und wann, wenn die Polizei jetzt das Dorf im Blick hatte?
Und wer war der Tote überhaupt? Johann wusste nicht einmal, wen er da in aller Hektik und Panik, benommen, wie er war, verscharrt hatte. Der Tote war blutüberströmt gewesen und sein Gesicht schwer zu erkennen, und Johann war nicht nach Nachforschungen zumute gewesen.
***
Er goss sich einen Nescafé auf. Zu einer unüblichen Tageszeit, aber schlieÃlich hatte er ja noch etwas vor. Für das Bizzeln hatte er diesmal gar kein Ohr.
Er wartete, bis die von ihm vermutete Regelarbeitszeit von Kriminalbeamten vorüber war und er nicht mehr mit ungebetenem Besuch zu rechnen hätte.
Er ging in die Scheune, schloss das Tor hinter sich ab und machte sich ans Werk. Er schaufelte das Grab wieder auf.
Das war mühsamer und komplizierter, als einfach nur eine Grube auszuheben. SchlieÃlich wollte er mit seinen Spatenstichen den toten Korpus nicht verletzen, so viel Pietät besaà er allemal.
Er schippte sich in einen regelrechten Rausch, und nach einer Dreiviertelstunde hatte er den Toten so weit freigelegt, dass er ihn bewegen konnte, andererseits aber schnell noch etwas über ihn würde breiten können, falls jetzt doch überraschend jemand käme. Nun erst sah er, dass er den Toten achtlos mit dem Gesicht nach unten in die Grube geworfen hatte.
Johann stieg hinab zu ihm, griff den Kopf zögerlich mit beiden Händen und drehte ihn auf die Seite, um zumindest sein Profil sehen zu können.
Er drehte ihn, und noch in der Bewegung erstarrte er: Focko!
Johann war fassungslos. Das war Focko Poppen! Meine Güte, wie kam der hierher und vor allem: Warum war er tot?
Focko war mal ein guter Kumpel gewesen, damals, bis das passierte. Sie waren eine Clique von vier Jungs, Focko, Enno, dessen Bruder Tammo und Johann. Jetzt hatte er seit bald acht Jahren nicht mehr mit Focko geredet. Und nun lag er mausetot vor seinen FüÃen.
Sie waren zusammen mit ihren frisierten Mofas über die Deiche gebrettert, hatten Feuer am Fluss gemacht, sich mit reichlich Bier regelmäÃig abgeschossen und meistens alles auf einmal und immer gemeinsam.
Immer hatten ihnen Natur und Bier genügt, nur irgendwann kamen sie doch auf die verfluchte Idee, mal in die Disco im übernächsten Ort zu fahren. Bier plus Musik plus Mädchen, das musste doch irgendwie noch viel besser sein.
So fuhren sie also los mit ihren Mofas, die Vorfreude hatten sie schon mit einigen kleinen grünen Flaschen beflügelt.
Der Parkplatz war voll, die Mehrzahl der Autos tiefergelegte und bespoilerte Kleinwagen, der Andrang war groÃ, vor der Tür hatte sich schon eine Schlange gebildet.
Maulend reihten die Jungs sich ein, Tammo war dafür, wieder umzukehren. Er wurde von den anderen überstimmt. Enno hatte eine Flasche Persiko dabei, die er kreisen lieÃ. Bald fanden sie ihren Spaà wieder und schubsten sich ausgelassen in Erwartung von Bier und Bräuten.
Sie waren, langsam vorrückend, kurz vor dem in Fachwerkmanier gezimmerten Eingangsportal angekommen, über dem Leuchtstoffröhren den Namen »Sunrise« formten, als Tammo von Focko übermütig gestoÃen wurde.
Er taumelte gegen einen anderen Wartenden, der etwas älter und sicher nicht mit dem Mofa gekommen war: gegeltes Haar, weiÃe Hose, weiÃes Hemd mit hochgestelltem Kragen.
»Pass ma auf, wo du hintrittst, Bauerntrampel«, fuhr der Angerempelte Tammo an. »Du hast meine Hose schmutzig gemacht.«
Die Beschwichtigungsversuche seiner halb so groÃen, halb so alten und für friesische Verhältnisse ungewöhnlich gut gebräunten weiblichen Begleitung im ebenso weiÃen Outfit lieà er an sich abperlen.
Tammo setzte gerade an, sich zu entschuldigen, als der Fremde ihm eine schallende Ohrfeige verpasste.
In Johann kochte sofort die Wut hoch, er wollte Tammo, den Kleinsten der Clique, rächen. Er nahm Anlauf, um sich dem Schläger mit voller Wucht in den Bauch zu werfen.
Statt sich dem Angriff zu stellen, machte die feige WeiÃhose reflexartig einen Schritt zur Seite, und Johann krachte mit voller Wucht gegen Tammo, der von der Ohrfeige noch ganz benommen war.
Johann riss ihn um, und Tammo krachte mit einem so lauten Knall gegen den Fachwerkbalken des Portals, dass alle Umstehenden sofort verstummten
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