Friesisch Roulette
ging.
»Nachtsichtgerät.«
»Ach, und wozu brauchen Sie das?«, fuhr der Bestickte noch skeptischer fort.
»Zum Beobachten.«
»Ach, und was beobachten Sie damit so?« Nun rührte der ungebetene Gast auch noch eine Prise Ironie in seine Fragerei. Das konnte ja nett werden.
»Schafe.«
»Schafe«, wiederholte der Polizist konsterniert. Er machte eine Pause, um Enno die Chance einzuräumen, seine dreiste Falschaussage selbst zu korrigieren.
Doch Enno schwieg.
»Sie haben ein Nachtsichtgerät, um damit Schafe zu beobachten«, fasste der Polizist seine Erkenntnisse zusammen.
»Sag ich doch«, brummelte Enno.
Der Polizist versuchte es jetzt mit einem bohrenden Blick, um Enno auf den Pfad der Wahrheit zu führen.
Aber Enno wandte sich ab, und ohne selbst hinzusehen, zeigte er mit der Hand zum Küchenfenster hinaus.
»Da.«
Nun erhob sich auch die Pferdebeschwanzte, die sich zwischenzeitlich gesetzt und das Wortduell der Männer interessiert verfolgt hatte.
Sie stellte sich neben ihren Kollegen, und beide blickten aus dem Küchenfenster auf eine kleine Schar von Kamerunschafen, die mehrheitlich zurückschauten.
»Hm«, brummte der Polizist unzufrieden.
Er und seine Kollegin nahmen nun endlich Platz, und sobald sie saÃen, setzte sich auch Enno.
Der Mann blickte noch einmal zum Geräteaufbau, und Enno konnte spüren, dass der Gast zu einem letzten Vorstoà in Sachen Nachtsichtgerät ansetzen wollte: Er holte Luft, formulierte in Gedanken einen Satz, dessen Anfang schon fast die Lippen erreicht hatte â und brach das Unterfangen wieder ab. Contenance! Es war sinnlos, und mittlerweile waren ihm überdies auch Hoffnung und Lust abhandengekommen, aus Enno irgendeine Auskunft zum Leichenfund herauszubekommen.
Seine geringe Frusttoleranz war ein Problem, das ihm schon ein Disziplinarverfahren und den Arbeitsplatz in dieser aus seiner Warte gottverlassenen Provinz eingebracht hatte.
Göttingen war zwar auch nicht gerade der Nabel der Welt, aber da war wenigstens noch ein bisschen was geboten für einen Junggesellen, und die Menschen waren nicht ganz so spröde. Aber dann: der Ausraster während einer Vernehmung und die Verbannung in die friesische Ãdnis.
Um gröÃere innere Ruhe bemüht, weil er nach reumütiger Rückkehr in die Zivilisation nicht erneut ein friesisches St.  Helena erleben wollte, hatte er sogar mit Yoga angefangen. Er betrieb es allerdings mehr als eine Art Kampfsport.
Seine Kollegin übernahm nun die Befragung. Sie berichtete Enno vom Fund des Toten, zeigte ihm dessen Foto, stellte ein paar Fragen, und nach sechs Minuten standen die beiden Beamten wieder auf der StraÃe, ohne schlauer geworden zu sein.
»Hm«, machte Beckmann zu seiner Kollegin.
***
In seiner Küche saà Enno, schaute ratlos vor sich hin und machte »Hm«.
Er wusste, dass es an der Zeit war, etwas Schreckliches zu tun. Etwas, das er nie hatte tun wollen.
18
Er würde Richtung Ostsee fahren, um Spuren zu verwischen, hatte Putin noch gesagt. Welche Spuren wollte er verwischen, wenn sie noch gar nicht mit ihrem Coup begonnen hatten?
Aber Nicolaj hatte ihn gewähren lassen, um ihm nicht den Spaà an seiner Aufgabe zu nehmen und auch, um zu würdigen, dass Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen unterschiedliche Auffassungen haben konnten und auch sehr unterschiedliche Rhythmen bei der Arbeit und im Leben.
Und Putin stammte definitiv aus einem anderen Kulturkreis. Nördliches Krasnojarsk gegen südliche Krim, sechstausend Kilometer Luftlinie und buchstäblich keine Verbindung auf dem Landweg, unterschiedlicher ging es nur schwer. Dagegen waren Nordfinnen und Neapolitaner eineiige Zwillinge.
Nach der Nacht im Werkstattschuppen sah Nicolaj zerknittert aus, die Hose war von seinen Grabenkämpfen eingedreckt. Er brauchte keinen Spiegel, um zu wissen, dass er eher ein Bild des Jammers als das eines angsteinflöÃenden Paten abgab.
Er war deprimiert. Er setzte sich auf sein Köfferchen, schaute nach oben, als er die Lerche singen hörte (warum sang im September noch eine Lerche?), und versuchte, das Ganze systematisch anzugehen.
Also: Putin war von Berlin Richtung Ostsee gefahren, warum auch immer. Danach sollte er nach Amsterdam, um dort als Kurier der Berliner Chefs Drogen entgegenzunehmen â als vermeintlicher Kurier, das war ja der clevere Plan von Nicolaj, denn die
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