Friesisch Roulette
und hofften, das Geräusch möge vom Balken und nicht von Tammos Kopf hergerührt haben.
Aber es war wohl der Kopf gewesen. Tammo sank leblos in sich zusammen.
Da standen sie nun vor dem »Sunrise«, und Johann hatte das Gefühl, als würde die Sonne geradewegs unter- und nie wieder aufgehen.
Es bildete sich eine riesige Traube um das Geschehen, bald flackerte Blaulicht, die WeiÃhose würde später aussagen, dass Johann Tammo gezielt angegriffen hätte, und die Jungs mussten mitansehen, wie der Notarzt, über Tammo gebeugt, den Kopf schüttelte.
Johann wandte sich von dem Toten aus seiner Erinnerung demjenigen zu, der vor ihm in der Grube lag.
Nun also der zweite Tote, der zweite Kumpel. Dabei hatte er doch alles vergessen wollen, und nun geriet er in irgendeinen mörderischen Schlamassel, den er überhaupt nicht durchblickte.
Johann untersuchte den toten Focko, um etwas in Erfahrung zu bringen. Irgendetwas. Irgendetwas, das ihm etwas erklären konnte.
Es war nicht angenehm, den Toten zu berühren. Johann konnte kein Einschussloch ertasten.
War er gar nicht erschossen worden? Was hatte es dann mit der Waffe auf sich, die Johann neben der Leiche gefunden hatte?
Viel Blut klebte am Schädel des Toten. Anscheinend hatte man ihn erschlagen wie einen tollwütigen Hund.
21
Nicolaj schlich um das Haus. Seit der Dämmerung hatte er den Hof beobachtet. Im Wohngebäude war den ganzen Abend über kein Licht angegangen. Es war riskant, das wusste er, aber noch eine Nacht in irgendeinem Gebüsch oder Schuppen würde er einfach nicht aushalten. Sein Instinkt sagte ihm, dass der Hof verlassen war.
Beiläufig drückte Nicolaj die Klinke der Haustür runter, zog daran â und war überrascht. Die Tür war offen. Er witschte hinein, öffnete den Koffer, beförderte seine Taschenlampe zutage und arbeitete sich in die Küche vor.
Nicolaj schaute sich um, es herrschte ein ziemliches Durcheinander. Nur sah es keineswegs so unbewohnt aus, wie er gehofft hatte. Leise weiter. Toilette, lange nicht geputzt, Schlafzimmer. Niemand da. Ha! Beim Anblick des Federbetts frohlockte Nicolaj.
Zurück in die Küche, er hatte Hunger und Durst. Er leuchtete sich zum Kühlschrank vor, darin lagen drei Flaschen Bier! Er ploppte einen Bügelverschluss auf, sagte hastig seinen Trinkspruch und leerte die halbe Flasche.
Er leuchtete weiter. Ein altes Radio. Musikkassetten. Papiere. Keimende Zwiebeln â eine Wurst! Nicolaj griff sie und biss hinein. Ein Traum!
Er wurde ruhiger, mit vollen Backen kauend leuchtete er auf dem Küchenbuffet weiter umher und studierte die Kassettenhüllen. Er betätigte vorsichtig den »Play«-Knopf des Radiorekorders. Infernalisches, hart und schnell rhythmisiertes Dröhnen drang aus dem Gerät.
Nicolaj drückte sofort auf »Stop« und schaute sich besorgt um. Für ihn hatte es geklungen, als hätte Adolf Hitler persönlich aus dem Lautsprecher geschrien. Nicht seine Musik.
Nicolaj griff eine leere Kassettenhülle, auf der »Rammstein« stand, auf einer anderen »Bob Marley«, auf der nächsten »Hannes Wader«. Alles fein säuberlich geschrieben, sodass selbst Nicolaj es gut lesen konnte, dem das Lesen an sich und das der lateinischen Schrift im Besonderen nicht eben in die Wiege gelegt war.
Er klickte das Kassettenfach auf und tauschte das Tonband mit dem apokalyptischen Lärm gegen ein anderes. Lautstärke runter und »Play«.
Eine etwas kehlige Stimme erklang und dazu Gitarre, Hannes Wader sang: »â¦Â Bin auf meinem Weg, schon so lang. Verschlagen und träg, schon so lang. Bin müde und leer, will nach Süden ans Meer â¦Â«
Nicolaj verstand kein Wort, aber er spürte, dass es sein Lied war.
Er hörte zu, leerte die Flasche, nahm sich eine zweite, leuchtete weiter umher, der Lichtkegel erfasste eine kleine Schachtel auf dem Küchentisch. Er ging darauf zu und hatte das Format der Verpackung richtig erkannt.
Es war eine halb volle Schachtel mit Patronen vom Kaliber .45.
22
Hauptkommissar Beckmann, heute in einem pinken Poloshirt mit weiÃem Kragen und dem riesigen Schriftzug »Camp David«, wählte eine Nummer aus Waren/Müritz.
Seine Kollegen hatten den Besitzer des verlassenen BMW ausfindig gemacht. Sie alle hatten die Angelegenheit zunächst nur mit mäÃigem Engagement verfolgt, nachdem Wilmine Ahlers aufgeregt das
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