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Friesisch Roulette

Friesisch Roulette

Titel: Friesisch Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marvin Entholt
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jetzt rächen.
    Â»Jo, gib her«, entschied sich Enno.
    Der Paketmann reichte ihm erleichtert sein elektronisches Quittierteil, Enno krakelte etwas darauf.
    Â»Ist kein Absender drauf«, versuchte der Überbringer Ennos Neugier zu schüren. »Vielleicht hat der sich ja auch so ’ne aufblasbare Gesellschaft bestellt«, wurde er wieder kühn. »Na, is ja auch nicht immer ganz einfach, so allein.«
    Enno knallte die Tür zu und schaute auf das Paket in seinen Händen.
    ***
    Eine Viertelstunde später stand Enno im Nieselregen zwischen seinen Kamerunschafen und streichelte sie geistesabwesend.
    Vor ein paar Tagen war alles noch gut gewesen, und jetzt ging es den Bach runter. Verfluchter Focko. Verfluchter Russe.
    Unschlüssig stand Enno zwischen den Tieren. Sie drängten sich an ihn und stupsten ihn an in der Erwartung, dass er Futter bei sich hatte wie sonst auch.
    In seiner Zerstreutheit hatte er ganz vergessen, etwas mit herauszunehmen, und versuchte, es ihnen zu erklären. Aber seine Gedanken wanderten zu Focko, dessen Paket er gerade angenommen hatte.
    Was für ein komischer Hund. Über die Jahre war er immer kauziger geworden. Er war der Einzige, der sich andauernd tierisch aufregen konnte über alles, was in der Welt passierte. Eine Zeit lang war er nach Leer geradelt zu den Versammlungen der Republikaner. Dann war er zur PDS umgeschwenkt und hatte bei Siedenbiedel und in Reents Gaststätte, als es die noch gab, klassenkämpferische Parolen von sich gegeben, die die anderen damit quittierten, ihm noch ein Bier und einen Schnaps zu bestellen. Focko war besser als Fernsehen, wenn er gut aufgelegt war.
    Vom Klassenkampf blieb im Laufe der Zeit nicht mehr viel übrig, den Kampf der Kleinen gegen die Großen verlagerte Focko auf den Umweltschutz. Er kämpfte gegen alles, was seine ostfriesische Heimat zu verändern drohte. Die großen Energiekonzerne, die die Landschaft mit Windrädern verschandeln wollten, wurden zu seinem größten Feind.
    Â»Am Ende fangen sie noch an, nach Gas zu bohren und Salzsäure in die Erde zu pressen, um die Bohrlöcher offen zu halten. Die Wiesen, die Kühe, alles vergiftet mit Salzsäure, das haben sie anderswo auch schon gemacht und sich ’nen Scheiß um die Umwelt gekümmert«, echauffierte Focko sich und erntete bei den Umstehenden in der Kneipe nur Schweigen.
    Â»Fracking!«, warf er drohend mit sich überschlagender Stimme hinterher, und es klang zur Hälfte so, als sei es die Abwandlung eines englischen Schimpfworts, zur anderen Hälfte sehr deutsch, als hätte es mit eleganter Herrenkleidung zu tun.
    Die Gasmafia, die Russen, die Großkonzerne, alles verwirbelte Focko in seinem Furor zu einer einzigen großen Weltverschwörung.
    In Etzel hätten sie schon ein Gaslager gebaut, mit Kühen und Dünen auf dem Prospekt, als wäre es eine Werbung vom Fremdenverkehrsamt, und mit einer Zeichnung, die zeigte, dass das Bohrloch tiefer wäre als der Eiffelturm hoch, das wäre doch pervers, wäre das doch.
    Schweigen um ihn herum, noch ein Schnaps, noch ein Bier, und Focko begriff, dass er auf niemanden zählen konnte im Widerstand als auf sich selbst.
    Eigentlich eine Schande, dass wir ihn damit immer allein gelassen haben, dachte Enno. Vielleicht hatte er ja recht. Das Gaslager in Etzel gab es, das hatte Enno herausgefunden, und die Prospekte gab es auch, mit Dünen und Kühen.
    Enno streichelte die großen Nasen seiner Kamerunschafe, kraulte ihre Stirn und versuchte, alle Tiere gleichermaßen mit Zuneigung zu bedenken.
    Dann entschied er sich für Trudi.
    Â»Komm mal mit, meine Olle«, flüsterte Enno und zog sie sanft, aber bestimmt am Halsband aus der Herde hinter sich her.
    Die anderen Tiere schauten den beiden nach. In ihren Augen mit den großen waagrechten Pupillen hätte Enno, wenn er sich noch einmal umgedreht hätte, eine große Frage lesen können, bei der es um Leben und Tod ging.

24
    Heinrich Siedenbiedel hatte den Laden in Ordnung gebracht. Alles stand wieder dort, wo es schon immer gestanden hatte, seit drei Generationen, von den behutsamen Erweiterungen des Sortiments im Laufe der Jahre durch mehr oder minder nützliche Neuerfindungen und Plastikartikel einmal abgesehen.
    Die Schäden durch den Einbruch hielten sich in Grenzen: ein zerschlagenes Teeservice, das schon seit sechzehn Jahren niemand hatte kaufen wollen, eine

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