Frikassee zum Frühstück (ISAR 2066) (German Edition)
Füchtjohanns Gesicht legt. Offenbar habe ich sie zu Tode beleidigt und kurz darauf werde ich hinauskomplimentiert. Keine Minute zu früh. Am Tor treffe ich einen Mann im schlecht sitzenden Anzug, der gerade dabei ist, das Firmengelände zu betreten. Einer von Brügells Lakaien.
4. Angefressen
Zurück an meinem Schreibtisch – die Insassen der Nachbarbüros üben sich nach wie vor in Ablehnung und wenden den Kopf demonstrativ ab, als ich an ihren Türen vorbeischlendere – finde ich heraus, dass sich Lionel vor kurzem in das Unternehmen ViveSenz eingekauft und am Ende dreißig Prozent der Anteile gehalten hat. Ich bin mehr als verblüfft. Wie kommt ein Siebzehnjähriger zu so viel Geld? Hat er vielleicht seine Nase in die Dreckwäsche anderer gesteckt und sich auf erpresserischem Wege selbige vergolden lassen? Auch wenn es mich keinen Zentimeter näher an den Kommunikator bringt, bin ich neugierig. Ich will Jimmy danach fragen, als ich von unerwarteter Seite Hilfe erhalte. Die Wanze unter Ivy Füchtjohanns Nierentisch arbeitet fehlerfrei und ich werde im Laufe der nächsten Stunden stiller Zuhörer zahlreicher Kondolenzgespräche per InterCom. (Übrigens hat es Brügells Mitarbeiter nicht bis ins gläserne Büro geschafft, was an seinem knitterigen Anzug gelegen haben mag. Oder aber an meinem schlechten Benehmen kurz zuvor. Ich kann da nur spekulieren.)
In der Regel laufen die Kondolenzgespräche nach folgendem Muster ab:
„Guten Tag, Herr X. Ihre Anteilnahme berührt mich tief … Ja, es ist für uns alle ein herber Verlust. Wir sind ihm zu großem Dank verpflichtet … Nein, leider hat er keine Familie mehr. Wir waren seine Familie, deren liebevoller Mittelpunkt er gewesen ist ... Selbstverständlich. Sobald die Polizei seine sterbliche Hülle freigegeben hat, wird er fragmentiert. Seine DNA wird in ein von ihm entworfenen Flakon graviert und feierlich enthüllt … Tut mir leid, die Zeremonie findet nur im engsten Kreis statt. … Das ist aber sehr großzügig von Ihnen, Herr X. Ich danke Ihnen, auch im Namen des Vorstands, und werde alles Notwendige veranlassen, damit Sie auf die Liste gesetzt werden ... Aber natürlich. Ich freue mich … Das wünsche ich Ihnen auch. Guten Tag.“
Unwillkürlich frage ich mich, ob die Vitrine in Ivy Füchtjohanns Büro eine Art Totenschrein für ehemalige Mitarbeiter ist. Versonnen betrachte ich die rotierenden Ringe der Lichtskulptur auf dem Tisch, als ich plötzlich aufhorche.
„Wie reizend, dass du dich meldest, meine Liebe … Ja, fürchterlich. Ich bin so geschafft! Viele kann ich abwimmeln, aber einige muss ich persönlich abfertigen. Lokalpolitiker, Geschäftspartner, solche Leute eben … Ich weiß, ich weiß … Und das alles wegen dieses Hosenscheißers!“ Ivy Füchtjohann senkt die Stimme. „Von wegen … Er war durch und durch hinterhältig … Du glaubst mir nicht? Jetzt erzähle ich dir mal was: Vor einem Jahr hat er seine Großtante mütterlicherseits – eine von Tran und Toxic, soweit ich weiß – für unmündig erklären lassen … Wenn ich’s dir doch sage! … Die arme Frau litt unter TBC Gamma.“
Außer Mari Kirsipuu wünsche ich niemandem, an TBC Gamma zu erkranken. Das neuartige Tuberkulose-Bakterium befällt als erstes die Lunge, dann die Hirnhaut und verwandelt zumeist ältere Menschen in sabbernde Zombies. Schon erstaunlich. So ausgefuchst die Medizin auch sein mag, die Natur findet doch immer wieder einen Weg, die Menschheit in ihre Schranken zu weisen. Früher waren es Pest und Cholera, später Bandscheibenvorfall und Burnout-Syndrom. Heute ist es TBC Gamma.
„Und jetzt halt dich fest! Dieser kleine Mistkäfer hat seine Großtante in die Hacker-Kliniken abgeschoben … Ja! Die Hacker-Kliniken!“ Nacktes Entsetzen schleicht sich in Ivy Füchtjohanns Stimme. „Wenn ich’s dir doch sage! … Aber jetzt kommt’s richtig dicke! Kaum war sie dort eingekerkert, hat er sich ihr gesamtes Vermögen unter den Nagel gerissen.“
Stirnrunzelnd blicke ich der Expressbahn hinterher, die draußen am Bullauge vorbeirast. Zwar lebe ich noch nicht lange in den Isar Auen, doch die Hacker-Kliniken sind mir ein Begriff. Die luxuriöse Seniorenresidenz, die in den 40er Jahren im ehemaligen Forschungszentrum in Garching errichtet worden war, hatte man mit allem Pipapo ausgestattet: Sonnentanks und Defroisseurs auf jedem Flur, Drei-Sterne-Köche rund um die Uhr, nachwachsende Rohstoffe über eine hauseigene Organfarm und sogar eine
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