Frisch gemacht!
Ausdauer wird durch keinerlei Abnutzung geschmälert. Das Stimmchen hat sogar immer noch Steigerungsmöglichkeiten. Unglaublich.
Ich gucke streng. Sehr streng. »Hör bitte auf zu schreien, liebe Claudia.« Man soll schon mit den Kleinsten in deutlicher Erwachsenensprache sprechen. Knappe, klare Anweisungen in freundlichem und höflichem Tonfall, eben genau wie bei Männern. Was man soll, ist meiner Tochter allerdings komplett egal. Sie schreit weiter. Vielleicht funktioniert es nur bei männlichen Babys. Jungs eben. Meine Tochter jedenfalls lässt sich nicht so einfach maßregeln. Revoluzzerbaby.
Jetzt bin ich fast noch stolz auf das Geschrei. Man kann sich wirklich alles schönreden. Oder denken. Ich sehe schon eine moderne Jeanne d’Arc in ihr. Das Kind kommt halt doch nach mir. Ich reagiere auf Anweisungen auch eher spröde. Christoph, mein Lebensgefährte, würde sagen, was heißt da spröde – gar nicht reagierst du. Ignorant kannst du sein.
Und wenn schon. Scheint ihm ja zu gefallen, oder hätte er mich sonst ausgewählt? Dass er mich ausgewählt hat, ist etwas, das ich ihm oft genug vorhalte. Dabei ist das natürlich totaler Quatsch. Aber Männer lieben dieses Gefühl, verantwortlich zu sein. Wow, er – der große Macher. Der Entscheider. Der Beutehai. Wenn man ihnen zu deutlich klarmacht, dass sie uns raffinierten Jägerinnen nur tumb in die Falle gegangen sind, wie geblendetes waidwundes Wild, reagieren sie schnell gereizt. Deshalb immer in dem Glauben lassen, man sei williges Opfer gewesen. Das nährt das Jägergefühl in ihnen und macht sie glücklich. So einfach ist das bei den Männern. Jedenfalls dieser Teil.
Claudia schreit weiter.
Ich überlege, kurz ins Arbeitszimmer zu flüchten, die Tür zuzumachen und die Anlage aufzudrehen. Was man nicht hört – ist doch auch nicht existent, oder? Ohren zu und auf ein Wunder warten. Ich schaffe es nicht. Bin doch zu gutherzig. Ein Muttertier eben. Oder ist es Frauensolidarität? Oder nur Angst, als Rabenmutter der Woche in irgendeiner Talkshow zu landen? Oder vor den Nachbarn als herzlose Bestie dazustehen?
Ich schultere Claudia und mache mich auf Tour. Dermaßen gründlich habe ich meine Wohnung in kinderlosem Zustand nie erforscht. Seit Tagen schon wandere ich mit meiner Tochter kreuz und quer durch unsere Vierzimmerwohnung. Camel Trophy der besonderen Art. Ich bin das Kamel. Was man auf so einer Wohnzimmertour entdecken kann, ist irre. Kaugummipapierchen einer Marke, die es seit knapp einem Jahr auf dem deutschen Markt nicht mehr gibt, lagen schräg hinter der Couchgarnitur, die auch mal wieder gründlich gesaugt werden könnte. Krümelig wie die Bezüge sind, hat man das Gefühl, Grobi aus der Sesamstraße hat seine Vorratsschränke über unserer Couch ausgekippt. Oder lümmelt heimlich, in den Sekunden, in denen ich ungestört im Bett liege, auf meinem Sofa. Auf jeden Fall: Merken. Für heute Abend. Christoph muss dringend Staub saugen! Auch das Sofa. Nicht dass Claudia noch eine Allergie kriegt. Obwohl Kinder ja Keime brauchen. Übertriebene Hygiene soll gar nicht gut für sie sein. Wie beruhigend für Hausfrauen wie mich. Obwohl: Haushalt ist im Moment Christophs Baustelle. So ein Kind ist Arbeit genug. Jedenfalls für mich. Aber: Mit dem Personal,
selbst dem familiär vertrauten, ist das so eine Sache. Er macht zwar, was er soll, aber nicht ganz so, wie er soll. Sein und mein Gründlichkeitsanspruch kommen aus unterschiedlichen Universen. »Wenn ich es schon mache, dann so, wie ich es will«, ist sein Standardspruch. Durchaus legitim, aber leider trotzdem doof. Ich würde selbstverständlich in seiner Position nichts anderes sagen, aber genau das wiederum würde ich ihm natürlich niemals sagen. Raffinesse, dein Name ist Andrea.
Christoph ist ein äußerst ordentlicher Zeitgenosse. Vor allem mit seinem Krempel. Der kann Tage damit zubringen, die Bücher in seinen Regalen auf Linie zu bringen, und wenn man ihn mal richtig nerven will, muss man nur ein oder zwei Bände verschieben. Einfach tief ins Regal reindrücken. Kann man lustig im Vorbeigehen erledigen. Das sieht er, kaum, dass er den Raum betreten hat. Er hat den absoluten Selektierblick. Nimmt wahr, was ihm wichtig ist, und blendet den Rest geschickt aus. Ob das antrainiert ist oder genetisch, habe ich noch nicht rausfinden können.
Auch das Trekking durch die Wohnung, mit Sightseeing und Animationseinlagen jeglicher Art, hat leider kaum Wirkung gezeigt. Meine Tochter ist
Weitere Kostenlose Bücher