Frisch verliebt - Mallery, S: Frisch verliebt
Adresse der Bäckerei ein. Sie hatte vergessen, Jesse danach zu fragen, wie das Krankenhaus hieß, in dem Nicole operiert wurde, deshalb schien ihr die Bäckerei die beste Anlaufstelle zu sein. Schließlich wappnete sie sich, um aus der Parklücke herauszufahren.
Die Brust wurde ihr eng. Sie ignorierte es ebenso wie das Kribbeln, das in ihrem Rücken einsetzte und sich über ihren ganzen Körper ausbreitete.
Nicht jetzt, dachte sie verzweifelt. Nicht jetzt. Später kannst du gerne in Panik geraten, aber doch bitte nicht, wenn du gerade losfahren willst!
Sie schloss die Augen und versuchte, ruhig zu atmen, dann stellte sie sich ihre Schwester in einem Krankenhausbett vor, wie sie verzweifelt auf ihre Hilfe wartete. Dort muss ich hin, rief sie sich ins Gedächtnis. Zu Nicole.
Der Anflug von Panik ebbte ein wenig ab. Sie öffnete die Augen und fuhr los.
Das Parkhaus kam ihr dunkel und geschlossen vor. Glücklicherweise standen in der Reihe vor ihr keine Autos, sie würde also etwas mehr Platz für ihren Bogen haben, wenn sie aus der Parklücke herausfuhr.
Langsam und vorsichtig stellte sie den Hebel der automatischen Gangschaltung auf Drive. Sofort setzte sich der Wagen in Bewegung. Sie trat so heftig auf die Bremse, dass diese blockierte, und der ganze Wagen mit einem Ruck zum Stehen kam. Vorsichtig ließ sie die Bremse wieder los und setzte sich damit erneut in Bewegung. In Abschnitten von jeweils fünfzehn bis zwanzig Zentimetern auf einmal schaffte sie es, aus ihrer Lücke auszuscheren. Fünfzehn Minuten später hatte sie den Weg aus dem Parkhaus gefunden und befand sich auf der Straße, die aus dem Flughafen herausführte.
„Nach einhundertfünfzig Metern rechts einordnen. Rechts abbiegen auf die 1-5.“
Die Stimme aus dem Navigationssystem klang sehr gebieterisch, so als wüsste sie, dass Claire vom Fahren allgemein keine Ahnung hatte und von der Fahrtstrecke im Besonderen schon gar nicht.
„1-5 was?“, fragte Claire und sah gleich darauf ein Hinweisschild zur Autobahn 1-5. Sie schrie auf und erklärte dem Navi: „Ich kann nicht auf die Autobahn. Wir müssen auf normalen Straßen bleiben.“
Als Antwort erhielt sie ein Ding-Dong: „Rechts abbiegen.“
„Aber das will ich nicht.“
Hektisch sah sie sich um, doch es schien keine andere Möglichkeit zu geben. Die Straße, auf der sie sich befand, ging einfach irgendwie in die Autobahn über. Nach links konnte sie nicht. Da waren viel zu viele Autos im Weg, Autos, die plötzlich anfingen, richtig zu rasen.
Mit beiden Händen umklammerte Claire das Lenkrad. Ihr Körper verkrampfte sich und ihr Geist füllte sich mit Bildern von verunglückten Autos, die in Flammen standen.
„Ich werde es schaffen“, sprach sie sich flüsternd Mut zu. „Ich kann es.“
Sie trat ein wenig fester auf das Gaspedal, bis sie beinahe siebzig fuhr. Das war doch wohl schnell genug, oder? Wer sollte denn schon schneller fahren müssen?
Hinter ihr näherte sich ein großer Laster, der sie anhupte. Sie zuckte zusammen. Und immer mehr Wagen fuhren hinter ihr auf, manche davon kamen ihr wirklich sehr nahe. Sie war so mit dem Versuch beschäftigt, keine Angst vor diesen rechts und links an ihr vorbeischießenden Autos zu haben, dass sie völlig vergaß, sich einzufädeln, bis das Navi sie erinnerte: „Zur 1-5 Richtung Norden rechts abbiegen.“
„Was? Wieso rechts? Will ich nach Norden?“
Dann aber machte die Fahrbahn einfach einen Bogen, dem sie folgen musste. Dabei verspürte sie das verzweifelte Bedürfnis, die Augen zu schließen, aber sie wusste, dass das übel ausgehen konnte. Angst trieb ihr den Schweiß auf die Stirn und sie wünschte, sie könnte sich den Mantel vom Leib reißen. Doch das ging natürlich nicht. Nicht wenn sie keinen Unfall bauen wollte. Sie hielt das Lenkrad so fest umklammert, dass ihr die Finger schmerzten.
Du tust es für Nicole, erinnerte sie sich. Für deine Schwester. Für die Familie.
Ihre Fahrbahn mündete in die 1-5. Noch immer fuhr sie siebzig, befand sich jetzt aber auf der rechten Spur und Claire schwor sich, dort zu bleiben, bis es an der Zeit war, die Autobahn wieder zu verlassen.
Als sie nördlich des Universitätsviertels dann endlich abfahren konnte, zitterte sie am ganzen Körper. Sie hasste es zu fahren. Es war abscheulich. Autos waren etwas Schreckliches und die Fahrer ungehobelte, bösartige Menschen, die sie anschrien. Aber sie hatte es geschafft, und nur darauf kam es an.
Den Anweisungen des Navigationssystems folgend
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