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Frische Spur nach 70 Jahren

Frische Spur nach 70 Jahren

Titel: Frische Spur nach 70 Jahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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eine
Handbreite trennte das Klavier von der Wand.
    Hilde schob Hand und Arm in den
Zwischenraum und tastete.
    Das Foto war nicht zu
erreichen, aber ihre Finger berührten etwas, das unten im Dunkeln stand —
berührten einen schmalen, hohen Karton.
    War der auch hinters Klavier
gefallen?
    Sie zog ihn hervor und wunderte
sich über sein Gewicht.
    Flach war er, aber groß, hatte
das Format einer Zeitung. Er war nicht beschriftet, jedoch umschnürt mit einer
Strippe.
    Normalerweise stöberte Hilde
nicht in fremden Sachen. Ihre Neugier lag sogar unter dem Durchschnitt, der
sonst für weibliche Wissbegier üblich ist. Aber jetzt folgte die betagte
Künstlerin einem inneren Zwang.
    Der Karton wurde auf den Tisch
gelegt. Sie streifte die Umschnürung ab und hob den Deckel.
    Für zwei, drei Sekunden machte
sie der Schreck starr. Dann glitt ihre Hand über das gebündelte Geld.
    Gummibänder hielten die
Banknoten zusammen. Jedes Bündel sah nach 1000,- DM aus. Und es waren
sicherlich 50 Bündel.

    Um Himmels willen! Woher hatte
ihr fast mittelloser, in einer Nachtbar klimpernder Enkel dieses Geld?
    Die Antwort lag in der linken
unteren Ecke des Kartons. Es waren zwei kleine, durchsichtige Plastiktüten. Verschlossen,
am oberen Rand einmal umgeschlagen und dann mit Tesafilm zugeklebt. Die Tütchen
enthielten weißliches Pulver.
    Hilde hatte genug über Heroin,
Kokain und all dieses Teufelszeug gelesen, um sofort zu wissen, worum es sich
handelte.
    Das also war’s! Ihr
vermeintlich so harmloser Enkel war in Wahrheit ein Dealer. Ein Verbrecher!
Einer, der nicht nur Pianist war im Rotlicht-Milieu, sondern vor allem ein
Drogenhändler.
    Hildes Herzschlag setzte aus. O
Gott! Klaus — ein Verbrecher?! Aber natürlich war das nicht nur seine Schuld.
Nein, überhaupt nicht! Schlechter Einfluss hatte ihn dazu gebracht. Und der
schlechte Einfluss kam nur von dieser Barbara. Ja, die war übel, leichtsinnig,
kokett und gewissenlos!
    Aber mit der würde sie reden!
Der würde sie was erzählen!
    Hilde lief die Treppe hinauf,
legte im Wohnzimmer die Bratpfanne auf den Abstelltisch und griff zum
Telefonbuch.
    Barbara Schollgast-Öhmke — sie
wohnte allein — und... aha! da war schon die Rufnummer.
    Hilde wählte.

4. Wahres
Schauermärchen vom Räuberpärchen
     
    Ins Bistro Chez Charles waren neue Gäste gekommen, ein junges Pärchen. Die beiden setzten sich in die
hinterste Ecke, wollten allein mit sich sein, bestellten bei der Serviererin
und zärtelten dann aneinander herum.
    Gaby, Tim und Klößchen wandten ihre
Aufmerksamkeit wieder Karl zu, waren zum Zerreißen gespannt. Und Computer-Karls
Miene deutete an, dass er die totalen, ultimativen Mega-Infos drauf hatte. Er
sprach leise.
    „Es ist Jahre her. Aber ich
erinnere mich daran, als wäre es gestern gewesen. Hilfreich ist natürlich, dass
ich ein tolles Gedächtnis habe. Außerdem hat’s mich ultra stark beeindruckt,
denn so was liest man nicht alle Tage — zumal, da es kein Phantasie-Produkt
war. Jedenfalls habe ich’s nicht dafür gehalten. Damals war ich übrigens neun
und wir kannten uns noch nicht. Es war also in der Vor-TKKG-Zeit.“ Hat’s die
tatsächlich gegeben?“, fragte Klößchen grinsend. „Ich denke manchmal, wir haben
uns schon im Sandkasten gekannt, noch eher! — schon im Kinderwagen.“
    „Karl, bitte weiter!“, sagte
Tim genervt.
    „Also, ich war so beeindruckt,
dass ich mir jede Einzelheit gemerkt habe — von B & C.“
    Er trank einen Schluck Milch.
Das erhöhte die Spannung. Und dann noch einen Schluck.
    Gleich beiße ich in meine
Basecap, dachte Tim. Aber äußerlich blieb er cool.
    „Die alte Dame“, fuhr Karl
fort, „heißt Hilde Nocke. Neuerdings nennt sie sich Nocke-Hallstedt — weil sie
sich als malende Künstlerin betätigt und ihren Namen aufmotzen will. Tante
Hilde — so nenne ich sie — war eine Freundin meiner Großmutter. In meiner Zeit
als Milchtüte war ich immer mal bei dieser oder jener. Als Oma gestorben war,
bin ich nur noch zu Tante Hilde gegangen. Sie ist total in Ordnung. Eine
pensionierte Lehrerin. Ihren Enkel Klaus hat sie auf dem Hals, hat ihn
aufgezogen an Eltern statt. Einen Sohn hatte Hilde nämlich, war aber eine der
ersten allein erziehenden Mütter. Also unverheiratet. Doch ihr Sohn und seine
Frau sind tödlich verunglückt, als Klaus vier war. Naja, er ist nicht übel.
Aber gemocht habe ich ihn nie. Er hat so was austernhaftes — verschlossenes,
meine ich. Und manchmal ist er wie Luft — als wäre er gar

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