Frischluftkur: Roman (German Edition)
sie ihn immer aufgefordert, wenn Damenwahl war. Aber Damenwahl ist ja nicht so oft und Feuerwehrball auch nicht, beides eigentlich nur einmal im Jahr, und eine ältere Frau mit einem jüngeren Mann – das war damals undenkbar für sie! Drei Jahre, das ist ein nicht zu unterschätzender Altersunterschied, wenn sie zwanzig ist und er erst siebzehn. Und dann, sechs Jahre später, kam die andere, eine Zugezogene, und hat ihn sich einfach geschnappt. Wilma wusste ja gleich, dass die nichts taugt, die hat immer so fein getan und konnte nicht gut arbeiten. Und Bier gab es da auch nie, bei Einladungen wurde immer Spätlese serviert und Likör. Wie bei reichen Leuten. Dabei hatten Kalle und seine Frau nie viel Geld.
Da habe ich es schon besser getroffen, denkt Wilma. »Arm geboren, kannste nichts dafür, aber arm heiraten, biste selber schuld«, war das Credo ihrer Oma. Und daran hat Wilma sich gehalten. Sie hat sich einen Mann mit Geld gesucht. Zwar war der schon sehr viel älter als sie und ist nun auch schon ein paar Jahre tot, aber das Geld ist geblieben. Natürlich darf man das nicht so zeigen im Dorf, sonst werden die Leute neidisch. Und deshalb hält Wilma sich sehr mit ihren Ausgaben zurück.
***
Es ist inzwischen Viertel nach zwölf, das Anziehen und Nachdenken hat länger gedauert, als Kalle erwartet hatte. Um halb eins macht Knurres Kramerlädchen zu. Das kann er mit dem Auto noch schaffen. Doch das Auto, ein sehr alter Opel Kadett, gibt keinen Ton von sich. Kalle überlegt, was er nun tun soll. Dreht den Zündschlüssel erneut im Schloss. Kein Laut. Kalle schimpft leise mit dem alten Auto. Und ein bisschen lauter, als er danach immer noch nicht anspringt.
Eingefroren, stellt Kalle schließlich fest und bekommt ein schlechtes Gewissen. Hat er dem Opel Unrecht getan? Vielleicht hätte er doch mal Frostschutzmittel in den Kühler füllen sollen.
Kalk wirft erst einen Blick auf die Uhr und dann auf seinen Trecker. Es ist halb eins, zu spät für Knurres Kramerlädchen. Aber zwei Dörfer weiter gibt es einen Getränkeabholmarkt, da könnte er mit dem Trecker hinfahren. Ist eh viel sicherer bei den glatten Straßen. Obwohl Zitterkalle keiner ist, der viel an Sicherheit denkt.
Der Trecker springt zuverlässig an, und Zitterkalle tuckert mit flotten fünfundzwanzig Stundenkilometern Spitzengeschwindigkeit schnittig durch die kurvige Hauptstraße. Ganz schön kalt. Brrr. Die Tropfen an seinen Nasenhaaren müssten gefrieren, würde der Fahrtwind sie nicht am Bleiben hindern. Ungemütlich! Zitterkalles Hände sehen aus wie geprügelte Mettwürste. Er hat seine Handschuhe vergessen.
Am Ende der Hauptstraße liegt der Dorfkrug . Gemütlich sieht der aus, mit den Fake-Tiffany-Lampen hinter den vergilbten Häkelgardinen. Zitterkalle stellt sich vor, wie warm es drinnen ist. Wie die Bedienung, die resolute Klara, ihm ein Bier einschenkt, noch bevor er überhaupt eins bestellt hat. Und während er sich das alles vorstellt, parkt er schon vor der Wirtschaft, geht, vorbei am Kasten des Sparvereins und den Schützenscheiben an der Wand, in die Gaststube und setzt sich an den Tresen. Manchmal handelt Zitterkalle schneller, als er denkt. Oft sogar, wenn man es genau nimmt.
Am Tisch in der Ecke sitzt eine Abordnung des Ideenkreises Junge Landfrauen, die eine neue Veranstaltung planen, um den Bau ihres Aerobic-Centers zu finanzieren. Eine Junggesellenversteigerung soll Geld in die Kasse bringen. Heimlich bewundert Zitterkalle ihre imposanten, hell leuchtenden Lockenfrisuren. Wie Engel sehen sie aus, denkt er, wenn sie nur nicht immer so komisch kichern würden. Von dem Geräusch bekommt er eine Gänsehaut. Ob die deshalb so heißt, weil sie durch das schrille Gelächter dieser Gänschen verursacht wird, fragt er sich und leert schnell sein Glas. Er hat Angst, es könnte bei diesen Frequenzen zerspringen.
Helmut, Walter und Hans-Heinrich kommen in die Kneipe, setzen sich zu Zitterkalle an den Tresen und bestellen mit einem Nicken bei Klara eine Runde Bier und Korn für alle. Nicht für die planenden Rauschgoldengel, die trinken Baileys, weil es stilvoller ist. Die Männer trinken stumm und zügig. Eine Runde, noch eine Runde. Kalle fängt an zu überlegen, wie viel Geld er dabeihat. Könnte er es sich leisten, ebenfalls eine Runde zu bestellen? Und wenn nicht, kann er es verantworten, weiter mitzutrinken? Irgendwann wird von ihm erwartet werden, dass er auch bestellt. Einfach so zu gehen wäre unhöflich. Aber wenn er jetzt
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