Frischluftkur: Roman (German Edition)
alles Geld hier ausgibt, hat er keins mehr, um sich morgen auch noch Bier zu kaufen.
Ein Sonntag ganz ohne Bier? Unvorstellbar!
»Und, haben sie euch auch schon gefragt, ob ihr bei der Junggesellenversteigerung mitmacht?«, fragt Helmut. Ein wenig Stolz ist aus seiner Stimme rauszuhören. Klar, er wurde natürlich gefragt. Er ist Stürmer in der Altherrenmannschaft des Fußballvereins und gilt nicht nur deswegen als gute Partie, weil er Herr eines eigenen Hofes ist. Nein, er hat auch noch immer dichtes Haar auf dem Kopf. Allerdings steht Helmut neuerdings unter Verdacht, sie zu färben, denn vor ein paar Wochen wurde er bei Knurres mit einer Packung Schaumtönung in der Nuance Herbstkastanie an der Kasse gesehen. Hat Wilma Kalle erzählt.
»Klar«, antworten Walter und Hans-Heinrich. So klar ist das gar nicht, findet Zitterkalle. Schließlich ist Walter selbst für sehr kurzsichtige Menschen keine Augenweide. In seinem Gesicht passt nichts so richtig zusammen: Die gigantische Nase überschattet das schwache Kinn, die Mundwinkel geben sich der Schwerkraft hin, die Augen gucken über Kreuz, und die Haare haben schon vor Jahren die Flucht ergriffen. Das ist sogar Zitterkalle aufgefallen, obwohl er sich sonst nicht besonders für das Aussehen von Männern interessiert. Und Hans-Heinrich ist streng genommen gar kein Junggeselle mehr, der ist nämlich schon seit zehn Jahren verheiratet. Aber vielleicht sehen das die Landfrauen nicht so eng?
Kalle fühlt sich plötzlich ausgeschlossen. Ihn haben die Rauschgoldengel noch nicht gefragt. Wahrscheinlich ist er der einzige Mann im ganzen Dorf, der nicht gefragt wurde. Dabei würde er sich gerne von einer Frau ersteigern lassen. Und die dürfte dann mit ihm machen, was sie will ... Obwohl Kalle sich nicht so genau vorstellen kann, was Frauen wollen.
»Und was ist mit dir?«, hakt Helmut nach. Dass der aber auch so unsensibel sein muss, denkt Kalle und bestellt mit einem Nicken noch eine Runde Bier bei Klara. Nur, damit er sich nicht so ausgeschlossen fühlt. Damit er wieder dazugehört.
»Nö«, sagt er dann. »Ich weiß auch gar nicht, ob ich da Lust zu hätte.«
»Du würdest dich sowieso nicht trauen, da mitzumachen«, lacht Helmut, und die anderen stimmen ein. Zitterkalle fragt sich, was daran so lustig sein soll.
»Ach was, natürlich«, antwortet er und nimmt einen großen Schluck Bier. Dann hat er den Pegel erreicht, in dem seine Schüchternheit sich verflüchtigt wie die Frauen in seinem Leben. Sein Tatendrang gräbt sich durch seinen Restverstand wie ein Maulwurf an die Erdoberfläche, um dort einen großen, mächtigen, beeindruckenden Haufen aufzuwerfen. »Aber das ist doch keine Herausforderung für einen echten Mann. Echte Männer wie ich brauchen Abenteuer! Die lassen sich nicht einfach versteigern wie Sklaven im alten Rom. Die machen selber was los. Die trauen sich wirklich etwas!«
»So, was denn?«, fragt Hans-Heinrich. Er liebt diese Momente. Er liebt Abenteuer – jedenfalls dann, wenn er anderen dabei zugucken kann. Er würde sich noch nicht mal trauen, den Zebrastreifen der Hauptstraße mit verbundenen Augen zu überqueren. Selbst wenn er hören könnte, dass kein Auto kommt. Oder das zahnlose Shetlandpony des Nachbarn zu streicheln. An dieser Mutprobe ist er schon als Zehnjähriger gescheitert, die Schmach hat er nie so richtig verwunden. »Die trauen sich zum Beispiel ... ähhhh, also ein echter Mann wie ich ...« Zitterkalle fällt nichts ein. »Na, alles Mögliche eben.« Er weiß, dass das keine befriedigende Antwort ist. Seine Worte verlangen nach Taten. Und seine Kumpels auch. Passiert ja sonst nicht so viel im Dorf. Zitterkalle ist immer für ein bisschen Abwechslung gut.
Bei den Worten »ein echter Mann wie ich« haben sogar die Damen am Ecktisch ihre dauergewellten Köpfe einen Moment gehoben. Sollten sie Kalle doch fragen, ob er bei der Junggesellenversteigerung mitmacht? Ach nein, lieber erst mal abwarten, was er vorhat. Die Flitzer-Aktion beim Fußballspiel ist ihnen noch in lebhafter Erinnerung. Schon bei dem Gedanken daran müssen sie sich beherrschen, nicht wieder laut loszukreischen – teils vor Empörung, teils vor Entzücken.
»Wir wetten um einen Kasten Bier ...«, fängt Helmut an.
Das ist gut , denkt Zitterkalle, Bier ist immer gut. Er ist schon bereit, zuzustimmen, egal, was jetzt kommt.
Dann weiß aber auch Helmut nicht weiter. Hans-Heinrich übernimmt: »Also, wir wetten um einen Kasten Bier, dass du dich nicht traust
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