Fröhliche Ferien am Meer
antwortete Miss Lorimer ruhig. »Wir haben ihn ziemlich oft gesehen, und er war mit meinem Bruder eng befreundet. Ich habe ihn jedoch nicht wiedergesehen, seit ich mein neues Leben hier begonnen habe.«
»Aber warum haben Sie uns das denn nicht vorher erzählt?« fragte Freddie hartnäckig weiter.
»Das wollte ich tun, sobald ich euch besser kannte, denn ich finde alte Tanten ein Greuel, wenn sie junge Menschen sofort mit dem Ausspruch überfallen: >Ich kannte eure Eltern.< Das ist, als würde man einen Anspruch geltend machen. Außerdem habe ich mich immer danach gesehnt, um meiner selbst willen geliebt zu werden, wie es in den Filmen so schön heißt.«
»Haben Sie Mutter gekannt?« fragte Angela vorsichtig.
»Ich habe sie nur einmal vor vielen Jahren getroffen, als euer Vater sie mit zur Farm brachte«, sagte Anna mit der gleichen Vorsicht. »Ihnen sieht man nicht an, daß Sie ihre Tochter sind, aber Freddie ist das genaue Abbild ihrer Mutter.«
»Nur äußerlich«, antwortete Freddie automatisch. »Erzählen Sie uns von Ihrem Neffen.«
»Stephen? Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich finde sie natürlich beide herrlich, aber eigentlich ist Stephen nur ein netter Farmer. Sie werden ihn selbst sehen. In ein oder zwei Tagen kommt er hierher. Und jetzt werde ich mich wohl besser um mein Weihnachtsessen kümmern.« Denn wie alle Romanschriftsteller haßte Anna die Ernüchterung, und sie hatte nicht die Absicht, Stephen herauszustreichen, damit er sich dann vielleicht als Enttäuschung erwies.
Als sie alle gemeinsam den Weg hinuntergingen, sagte Freddie fröhlich: »Was für ein Segen, daß noch ein Mann kommt. Mädchen haben wir mehr als genug. Und außerdem kommt noch Bills Dinah. Wir kennen sie zwar nicht, aber wir haben sie eingeladen, damit Bill in seinem Unglück getröstet wird. Eigentlich ist es ziemlich ärgerlich, denn ich finde, sie sieht schrecklich langweilig aus.«
Freddie hatte sich von dem Familiengericht schnell erholt, dachte Angela. Tatsächlich machte sie später für ihre drei Gäste eine unglaublich gute Geschichte daraus. Jetzt holte sie die Pralinenschachtel hervor, drängte sie allen auf und erzählte von ihrem geheimnisumwitterten Auftauchen auf der Treppe.
»Und ich würde so gerne zu der Party gehen, aber Bill will nicht, weil er nicht tanzen kann, und Shelagh kann man damit nicht belästigen. Wie ist es mit dir, Nick? Zum Tanzen brauchst du nicht beide Hände.«
»Nein, aber um einen hangi zu bewältigen wohl. Tut mir leid, aber ich muß auch passen.«
»Was ist ein hangi ?«
Dr. Wyatt erklärte, daß es ein Festessen sei, das von den Einheimischen in ihren eigenen Öfen zubereitet würde. An Weihnachten wetteiferten die Maoris und die Pakehas miteinander in der Gastfreundschaft.
»Wir gehen alle hin. Miss Lorimer macht ihren alljährlichen Besuch, und sogar der arme alte Geoffrey Matthews schaut manchmal herein. Zuerst veranstalten wir um sieben Uhr draußen auf der Wiese ein Festessen. Für das Mittagessen sorgen die Maoris und bereiten es zu; es ist ein herrlicher Spaß. Dann gehen alle zum Tanz in die Halle bis Mitternacht. Das Abendessen ist Sache der Pakehas. Ich hoffe immer, daß ich vorher abberufen werde. Zuviele Cremekuchen und belegte Brötchen! Die Küche der Maoris ist mehr nach meinem Geschmack.«
»Oh, das klingt ja himmlisch«, sagte Freddie sehnsüchtig. »Wie bringen sie es fertig, im Freien zu kochen?«
»Sie benutzen dazu ihre Lehmöfen, die mit Steinen ausgelegt und gut verkleidet sind. Wenn Sie hingehen möchten, dann schließen Sie sich Miss Lorimer und mir an. Das ist nicht wie in der Stadt, wo jeder einen Partner haben muß. Dort werden Sie viele finden.«
»Sie sind süß. Das wäre doch eine herrliche Gelegenheit, Leute kennenzulernen, oder nicht?«
»Ja, und Sie dürfen Ihren Pralinenfreund nicht enttäuschen. Wie ist es mit Miss Angela?«
Angela hatte nicht die geringste Lust mitzugehen, aber ihre letzten Erfahrungen sagten ihr, daß irgendjemand um Freddies willen mitgehen sollte, und sie stimmte mit etwas erzwungener Begeisterung zu.
Um sieben Uhr hatte sich vor der Halle eine große Menge versammelt, und die Mädchen wurden den Maoris und Pakehas vorgestellt. Das war ihre erste Erfahrung mit den Einheimischen auf ihrem eigenen Grund und Boden in diesem Teil des Landes, der von ihnen getrennt war. In der Schule hatten sie Maori-Freunde gehabt, aber man hatte keinen Unterschied gemacht, und es hatte auch keine Rassenschranken gegeben. Hier
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