Fröhliche Wiederkehr
während ein riesiger, zahmer Kranich neben dem Wagen gravitätisch einherstolzierte und für seinen Herrn Zigarrenstummel sammelte. Vor allen dreien hatte ich einen mächtigen Respekt, und die Drohung, die drei herbeizuholen, machte mich im größten Gebrüll augenblicks stumm und folgsam. Und das Lexikon schweigt auch darüber, daß in einer halbverfallenen Kate am Stadtrand zum Fluß hin ein Mörder hauste, der seine Frau mit einem glühenden Feuerhaken erschlagen hatte und vom Kaiser nach dreißigjähriger Haft begnadigt worden war. Nach Einbruch der Dunkelheit schlichen Dienstmädchen und ältere Gymnasiasten zu ihm in seine düstere Behausung und ließen sich gegen ein Honorar von Zigarren und Schnaps den Hergang der schrecklichen Bluttat genau schildern. Und jedesmal geriet der Mörder zum Schluß in solch eine Erregung, daß er nach dem im Herd glühenden Mordinstrument griff und auf seine Zuhörer losging, so daß sie schreiend davonstoben. Am nächsten Tag lauschte ich dann mit gesträubtem Haar dem detaillierten Bericht, den mir Anna von solch einem nächtlichen Besuch bei unserem Mörder gab.
Aber auch mit den im Großen Meyer erwähnten Dragonern hatte es eine besondere Bewandtnis. Bald nach unserm Einzug in die neue Wohnung kamen an Stelle der elften Dragoner vier Escadrons Ulanen vom zwölften Regiment aus Insterburg nach Lyck. Sie verdankten ihre Verlegung einem Skandal, der in der Kaiserzeit ungeheuren Staub aufwirbelte. Ein adliger Rittmeister dieser zwölften Ulanen war, während er mit seiner Schwadron auf dem Kasernengelände exerzierte, von einem Dachbodenfenster der Kaserne aus mit einem Karabinerschuß getötet worden. Ob aus Rache von einem Untergebenen oder aus Eifersucht von einem seiner Offizierskameraden ist nie geklärt worden, denn der Schütze blieb unentdeckt; nur der Name >Mordulanen< blieb an der Escadron hängen, und wenn meine Schwestern zu einem Offiziersball in das Kasino geladen wurden, zog mein Vater ein Gesicht, als wittere er neues Unheil. Aber weder den Damen noch den Offizieren geschah fürderhin das Mißgeschick, aus dem Hinterhalt ermordet zu werden. Die Offiziere und den Leutnant v. Maue, den flotten Tänzer meiner Schwester Else, erwartete der Soldatentod erst einige Jahre später bei Tannenberg, in der Masurenschlacht und in den Rokitnowsümpfen.
Welchen Glückstreffer ich mit dem Umzug in die neue Wohnung landete, konnte ich beim Einzug nicht ahnen. Wir zogen in ein Haus, das dem Konditor Strauß gehörte. Seine Konditorei mit einem glasgedeckten Vorplatz zur Straße hin lag unter unserer Wohnung, und da die Eheleute Strauß kinderlos waren und sich nichts sehnlicher wünschten als einen Sohn und Nachfolger, verwöhnten sie mich nach Strich und Faden. Sie machten meinen Eltern allen Ernstes den Vorschlag, mich zu adoptieren. Ich durfte in jede Bonbonbüchse langen, sie fütterten mich mit Petits fours und Sahne-Baisers, sie stopften mich mit Nougat und Schokolade voll, und da ich meine arme Mutter mit meinem Geburtsgewicht von fast zwölf Pfund beinahe ums Leben gebracht hätte, ist nicht schwer zu erraten, daß ich bald die Formen eines barocken Posaunenengels annahm. Mutter mußte mit den Straußens ernsthafte Worte reden, mich nicht wie eine Gans zu mästen, und meinem Vater Zornesausbrüche und mir Tränen zu ersparen, denn Vater bestand darauf, daß das, was bei Tisch auf den Teller kam, auch bis zum letzten Bröckchen aufgegessen wurde, und natürlich stocherte ich, von Süßigkeiten gesättigt, im Teller herum, daß ihm die rote Zornader auf der Stirn bedrohlich anschwoll. Er war ein geduldiger Mann, viel geduldiger, als ich es je gewesen bin; er hatte eine eigene Art, einen über den Brillenrand hinweg anzusehen und zu murmeln: Der Krug geht solange zum Brunnen, bis er bricht. Gewöhnlich brach er dann bei nichtigen Anlässen und es gab eine Menge Scherben.
Vater hatte in erster Ehe die Tochter eines wohlhabenden Kaufmanns und Realitätenbesitzers aus Alt-Ukta geheiratet, der früh starb und seinen Töchtern ein ansehnliches Vermögen hinterließ. Der ersten Ehe meines Vaters entsprossen drei Kinder. Als ich zur Welt kam, waren meine Halbschwestern den Kinderschuhen bereits entwachsen, und mein Bruder Ernst stand kurz vor dem Abitur. Ich habe Vater über seine erste Ehe nie ein Wort verlieren hören. Er scheint es mit der sehr jungen und eigenwilligen Frau nicht ganz leicht gehabt zu haben. Sie starb jung, und er blieb fünf Jahre lang Witwer, ehe er sich
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