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Fröhliche Wiederkehr

Fröhliche Wiederkehr

Titel: Fröhliche Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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erscheinen läßt, als läge nicht ein Jahrhundert, sondern ein ganzes Zeitalter dazwischen, sind die äußeren Lebensumstände. Vielleicht gab es damals in Hamburg oder Berlin schon in den vornehmen Bürgerhäusern Petroleumlampen. Die erste brauchbare wurde von dem Amerikaner Silliman 1855 konstruiert. Im Hause meines Großvaters brannte man Unschlittkerzen, und man ging mit ihnen sehr sparsam um. Die Herstellung dieser Kerzen aus Hammel- oder Rindertalg oblag den Frauen. Und aus dem gleichen Material kochten sie ihre Waschseife. Das Verlöschen des Herdfeuers bedeutete eine kleine Katastrophe, denn das Entfachen des Feuers mit Stein, Stahl und Zunder erforderte Geschick und wurde harte Arbeit, wenn der Feuerschwamm feucht geworden war. Das Wasser für den täglichen Bedarf holte man vom Marktbrunnen oder aus dem See, und zum Lokus lief man bei Sonne, Regen, Wind, Kälte und Schneesturm zu einer entfernten Ecke des Hofes. Bei Tag und bei Nacht...
    Solange sich die Geschichte meiner Familie zurückverfolgen läßt — und Vater brachte, als man einen Ahnennachweis vorweisen mußte, die Stammtafel bis auf das Jahr 1635 lückenlos zusammen — saßen alle Vorfahren als Schuhmacher oder Gerber in Arys, und sie heirateten die Töchter von Schuhmachern oder Gerbern aus der nächsten Nachbarschaft. Sie müssen ungeheuer ehrsame Leute gewesen sein, denn die Zunftbräuche waren unvorstellbar streng; das uneheliche Kind einer Tochter, ein winziger Verstoß gegen die Zunftordnung oder der Trunk aus dem Bierkrug eines unehrlichen Menschen konnten zum Verlust der Meisterwürde und damit zum Ruin führen. — Es ist wenig bekannt, daß die Söhne der preußischen Könige ein Handwerk erlernen mußten, bevor sie auf ihre eigentlichen Aufgaben vorbereitet wurden. So erlernten Wilhelm I. und auch Wilhelm II. das Buchbinderhandwerk. Daß mein Großvater von dieser lobenswerten Sitte im preußischen Königshaus gewußt hat, ist möglich, jedenfalls zwang er seine Söhne, bevor er ihnen die Wahl eines Berufes nach ihrer Neigung gestattete, das Schuhmacherhandwerk zu erlernen. Das ist uns im Ersten Weltkrieg sehr zustatten gekommen, als Vater sich auf seine alten Handwerksfertigkeiten besann, einen eisernen Dreifuß kaufte und darauf unsere Absätze richtete und die Schuhe besohlte.
    Aber so weit wollte ich ja gar nicht in die Vergangenheit zurückgreifen und so weit auch nicht in die Zukunft vorausblicken. Das alte, 1273 erbaute Ordensschloß zu Lyck, das später als Gefängnis diente, lag auf einer Insel des Lyck-Sees, der von den kalten Ostwinden freigefegt, manchmal schon in den letzten Novembertagen und oft genug bis tief in den März hinein eine spiegelblanke Eisbahn abgab. Diese Eisbahn war es, auf der Vater den eleganten Bögen von Mutter bewundernd folgte, und auf sie wiederum durch seine edle Haltung im Laufen und Bogenschneiden solch einen starken Eindruck machte, daß sie ihm schließlich das Jawort in den Bart hauchte. Den wallenden, braunen Bart trug er seit seinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr, sozusagen aus Berufsgründen, denn da sich der höchste Beamte des Rei-ches, der Fürst v. Bismarck, strikt weigerte, mit jungen Leuten unter sechzig zu arbeiten, machte man sich, wenn man das sechzigste Lebensjahr noch nicht erreicht hatte, eben durch Bart und Bauch künstlich älter. Mutter war, als sie Vaters Antrag annahm, ein reichlich spätes Mädchen von neunundzwanzig Jahren. Sie hatte eine längere Verlobungszeit hinter sich, aber der Bräutigam, Sohn und Erbe eines vermögenden Grundstückmaklers, war während der Verlobungszeit an der Wassersucht gestorben. Ein Mensch von heiterer Gemütsart, der, wenn ihm das Wasser aus den Beinen gezapft wurde, mit hübscher Tenorstimme »Es murmelt ein geschwätziger Quell« oder »Zwischen Berg und Tal rauscht ein Wasserfall« zu singen pflegte. Das scheint Mutter sehr gestört zu haben, aber sie konnte sich aus Pietätsgründen nicht dazu entschließen, die Verlobung vorzeitig zu lösen und wartete geduldig auf das natürliche Ende dieser Verbindung. Sie hatte ihr Examen als Lehrerin abgelegt und war als Hauslehrerin in entlegenen Oberförstereien, Gutshäusern und Schlössern des Landadels weit herumgekommen. Oft beendete sie diese Stellungen abrupt, weil die Gutsherren vergaßen, daß sie die junge Lehrerin nicht für sich, sondern für ihre Kinder engagiert hatten. Und aus einer Oberförsterei in der Kaporner Heide floh sie, nachdem auf die zum Abendessen versammelte Familie

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