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Fröhliche Wiederkehr

Fröhliche Wiederkehr

Titel: Fröhliche Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Menschenwürde. Er stellte seine Nachmittagsspaziergänge ein, und er ging nicht einmal zur Beerdigung seines alten Freundes Bienkowski, der bald nach unserem Besuch im Krankenhaus gestorben war. Er sagte, für Beerdigungen habe er einfach nicht mehr die Nerven. Und damit man ihm nicht nachsagen konnte, er wäre am Tage der Beisetzung doch gesund und munter gewesen, blieb er die ganze Woche über im Bett und legte Patiencen.
    Nicht lange danach liefen neue Gerüchte durch die Stadt. Kein Mensch wußte zu sagen, woher sie kamen, denn es gab keine Verbindung zur Außenwelt. Es hieß, der General von Prittwitz und Gaffron habe sein Kommando abtreten müssen und einem General namens Hindenburg übergeben. Niemand kannte dessen Namen, aber man erzählte sich, daß Hindenburg eine große Armee diesseits der Weichsel zusammengezogen habe und im Anmarsch auf die russischen Frontstellungen sei. Mochten die Gerüchte wahr oder falsch sein, sie bewirkten, daß Großvater von der Fleischbrühe, die Großmutter ihm als Krankenkost ans Bett brachte, wieder zu fester Nahrung zurückkehrte und bedeutend munterer aus den Augen blickte. Er wagte sich sogar wieder auf die Straße, aber er kam gar nicht ermutigt, sondern eher beunruhigt zurück und meinte, daß an den Gerüchten etwas Wahres dran sein müsse, merke man vor allem an der Haltung der Russen; sie seien recht nervös und lange nicht mehr so freundlich wie früher, und die Regimenter, die in der Stadt gelegen hätten, seien abgezogen und durch Kerle ersetzt worden, denen er bei Nacht nicht gern begegnen möchte. Mir trug er auf, die Hausbewohner zu verständigen, sich bei ihm zu einer kleinen Besprechung einzufinden, und als sie sich alle im Wohnzimmer versammelt hatten, da erzählte er ihnen von seinen Beobachtungen und sagte, daß er das Gerede vom Anmarsch deutscher Truppen jetzt nicht mehr für ein bloßes Latrinengerücht halte. Aber es solle ja niemand glauben, daß es bei der Befreiung der Stadt, wenn es dazu kommen sollte, so leise und heimlich zugehen werde wie es bei ihrer Besetzung durch die Russen geschehen war. Das werde ohne Kampf und Artilleriebeschuß kaum abgehen und könne stunden- und womöglich tagelang dauern. Und er empfahl den Frauen, Vorräte an Lebensmitteln bereitzustellen und die Kellerräume ein bißchen wohnlich zu machen, damit man es im Notfall eine Zeitlang aushalten könne. Er sagte das in aller Ruhe und Gelassenheit, so daß niemand in Panik geriet. Nicht nur die Frauen im Haus, auch die Männer schleppten Bettzeug und alle möglichen Sitzgelegenheiten in den Keller hinab. Die Beschaffung von Eßvorräten bereitete Großmutter eine Menge Sorgen, denn vorzukochen hatte wenig Zweck, da Gesottenes oder Gebratenes in der Hitze der Hundstage schnell verdarb. Ich machte mich im Haus nützlich und half den alten Leuten, wo ich konnte, aber es waren doch furchtbar langweilige Tage, denn die Großeltern ließen mich nicht für einen Augenblick auf die Straße hinaus. So blieb mir nichts anderes übrig, als das Eintreffen unserer Soldaten inbrünstig herbeizuwünschen, auch wenn es dabei zu solch blutigen Kämpfen kommen sollte wie an der Friedhofsmauer von Vionville im siebziger Krieg, wo der Zeichner der Szene mit richtig vaterländischer Begeisterung dargestellt hatte, wie unsere tapferen Soldaten die Franzosen mit ihren Bajonetten durchbohrten.
    Wenige Tage später traf genau das ein, was Großvater vorausgesagt hatte. Bei Tannenberg war es zu einer großen Schlacht gekommen, Tausende von Russen waren gefallen und mehr als hunderttausend in Gefangenschaft geraten, aber hier merkte man wenig davon, im Gegenteil, sie wälzten sich in endlosen Kolonnen durch die Stadt, und von Zucht und Ordnung war überhaupt nichts mehr drin. Sie drangen in die Häuser ein und stahlen, was sie erwischen konnten, und hatten einen besonderen Spaß daran, Polstermöbel und Betten aufzuschlitzen. Wir hörten sie auch in unserem Haus über uns rumoren, hörten das Rücken von Möbeln und das Klirren von Glas und Porzellan, und zwei Kerle drangen in den Keller ein. Der eine von ihnen, ein Kosak mit roten Biesen an den Pluderhosen, fuchtelte mit einem großen Revolver herum und wollte Schnaps haben, und als Großmutter sagte: »Nix Wuttki Wuttki«, da wurde der Kerl richtig wütend und schrie: »Wenn nix Wuttki, dann Urri Urri!« Und dieses Mal wurde Großvater seine schöne goldene Sprungdeckeluhr zum zweitenmal und endgültig los. Auch die drei anderen Männer rückten

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