Fröhliche Wiederkehr
oder Militärpersonen begangen, nach Kriegsrecht bestraft.
Die Abteilung der Narew-Armee unter dem General Samsanow, die Lyck besetzt hatte und, wie bekanntgegeben wurde, nun schon vor Allenstein stand, während die Njemen-Armee unter dem General Rennenkampf Insterburg eingenommen hatte und gegen Königsberg marschierte, schien aus lauter Elitetruppen zu bestehen, denn es gab in der Stadt weder Plünderungen noch Vergewaltigungen. Ich konnte mir darunter nichts Rechtes vorstellen, aber Vergewaltigungen schienen etwas zu sein, was den Männern fast noch unangenehmer war als den Frauen. Nein, die Russen plünderten und vergewaltigten nicht. Die einzigen, die die Nachtstunden vor dem Einmarsch der Russen zu Raubzügen in den verlassenen Wohnungen benutzt hatten, waren Leute vom Töpferende, dem Armenviertel der Stadt. Wer später ein Möbelstück vermißte, fand es zumeist in den kleinen, geduckten Katen am Seeufer wieder. Auch an Lebensmitteln herrschte vorerst kein Mangel. Großmutter schleppte ganze Schweineschinken heim, denn die Russen trieben von den verlassenen Bauernhöfen und Gütern Herden von Rindern und Schweinen in die Stadt, um sie für den eigenen Bedarf abzustechen oder von den beiden Fleischern, die in der Stadt geblieben waren, zur Versorgung der Zivilbevölkerung notschlachten zu lassen. Das einzige, was Großvater erbitterte, war, daß er seinen Nachmittagsgrog nicht mehr beim Cabalzar schlürfen durfte, denn nicht nur bei ihm, sondern in allen Gaststätten und Kneipen der Stadt feierten russische Offiziere den siegreichen Vormarsch ihrer Armeen und ließen den Zaren unentwegt hochleben.
Wenn Großvaters Rumvorrat zur Neige ging, dann füllte Großmutter ihren großen Henkelkorb mit Äpfeln und schickte mich mit einem schönen Gruß und der Bestellung, ich brächte die Äpfel für den Apfelkuchen, zum Cabalzar in die Backstube. Dort verstaute Herr Cabalzar eine neue Flasche Jamaica-Rum unter den Äpfeln und schickte mich mit einem schönen Gruß an den Großvater und mit der Bestellung, daß er heute keine Äpfel brauchen könne, zu den Großeltern zurück. Es fiel keinem Russen ein, mich zu kontrollieren, im Gegenteil, manchmal spendierten mir die Offiziere ein Stück Torte, und einer, ein großer bärtiger Mensch mit einer orgelnden Baßstimme zeigte mir ein Bild von einem Jungen, der genauso eine gestreifte Kieler Bluse mit einem schwarzen Marineknoten trug wie ich, drückte mich an seine Brust und sagte, während ihm dicke Tränen über die Wangen liefen, wenn es so siegreich weitergehe, dann würden sie zu Weihnachten in Berlin einziehen und er werde seinen Sohn vielleicht noch vor dem Osterfest Wiedersehen. Wenn ich das dem Großvater erzählte, konnte er sich richtig giften: »In Berlin einziehen«, knurrte er böse, »daß ich nicht lache! Denen wird der Hund was scheißen!«
In der Stadt wimmelte es von Soldaten. Die Muschkoten trugen nur einfache bräunliche Feldblusen, während viele Offiziere noch in ihren prächtigen Friedensuniformen einherstolzierten. Sie benahmen sich allesamt freundlich und konnten es sich in der Hochstimmung des Sieges wohl auch leisten, großmütig und freundlich zu sein. Um so bedrückter war die Stimmung bei den Großeltern und bei den Nachbarn und bei den Leuten, die wir bei Großvaters kurzen Spaziergängen auf der Straße trafen. Es wurde viel über einen General von Prittwitz-Gaffron gesprochen, dem das ganze Unglück zu verdanken sei, denn er hatte alle Stellungen geräumt und sich vor den Russen hinter die Weichsel zurückgezogen. Großvater verlor seinen Appetit und behauptete, auch der Grog schmecke ihm überhaupt nicht mehr, denn so was hätte es im ganzen siebziger Krieg nicht gegeben, daß ein deutscher General einen Rückzug befohlen hätte. So einer gehöre an die Wand gestellt und erschossen. Und obwohl ihm der Grog nicht mehr schmeckte, trank er dann doch noch einige Gläser, weil er sonst vor Gram und Scham über solch einen deutschen Offizier die ganze Nacht hindurch kein Auge zugemacht hätte. Sagte er.
An einem Nachmittag nahm Großvater mich zu einem Besuch bei Herrn Bienkowski mit, der infolge der Aufregungen kurz nach dem Einmarsch der Russen einen zweiten Schlaganfall erlitten hatte und nun im Krankenhaus lag. Aber die alte Oberschwester Christine, die mit zwei älteren Schwestern zur Versorgung der bettlägerigen Patienten im Krankenhaus zurückgeblieben war, sagte Großvater, daß Herr Bienkowski seit zwei Tagen ohne Bewußtsein sei
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