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Fröhliche Zeiten

Fröhliche Zeiten

Titel: Fröhliche Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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Kulisse störte ihn, keine musikalischen Warnschüsse, die Matthias Perl und Heinz Brüning von zwei Klavieren aus dem Orchestergraben abfeuerten, brachten ihn aus dem Text, geschweige denn zum Schweigen. Mitunter merkte das Publikum an den Klavierballern oder an einem Darsteller, der plötzlich auftrat, ihn erstaunt ansah, deutlich »Verzeihung« sagte und wieder abging, daß hier etwas nicht stimmte. Aber das ist ja die Krux mit dem Witz — beim Kabarett denken die Leute, es gehöre dazu. Und sie klatschen.
    Walther Kiaulehn konnte fortfahren, wie nach eigener Pointe. Er tat es. Keiner der Mitwirkenden nahm ihm seine Marathonconférencen übel. Sie amüsierten alle. Dieser Mann war nicht einer, der sich vordrängt. Er hatte etwas zu berichten, auf seine Art, und das kostete Zeit.
    Nun kommt da noch etwas hinzu. Beharrungsvermögen wie Unbeirrbarkeit können auch von hohen Öchslegraden herrühren. Vor der Vorstellung und auch danach wußten wir mit einiger Sicherheit, wo unser Vorstellungsverlängerer zu finden sein könnte. In einem verschwiegenen Ausschank saß er als privilegierter Schwarztrinker. Oft zusammen mit Bum Krüger. Beider Augen verrieten , wie weit sie sich schon vom Alltag entfernt hatten.
    Einmal war der Abstand so groß, daß der Beginn der Vorstellung fraglich wurde. Bum kam und kam nicht. Zuerst verständigten wir Rudolf Schündler, der leicht zu finden war. Er saß vorzugsweise in der Damengarderobe. Danach begab sich Fritz Walter, genannt Pinkus, ein alter Freund aus Mannheimer Theatertagen, in den Ausschank, auch Bum’s Lokal genannt, um den Säumigen aus dem Glas zu fischen. Er hatte Petri Heil und brachte ihn, mehr in tragender als in führender Rolle, in die Garderobe.
    Gemeinsam topften wir ihn ins Kostüm, eine preußische Uniform, um. Lallend ließ er uns hasten. Einer verständigte vorsichtshalber die beiden Pianisten, daß heute geschehen könne, was im Theater selbst bei hohem Fieber eines Darstellers nicht geschieht und nie geschehen darf, daß ein Auftritt ausfallen muß. Noch dazu ein Solo.
    Der Vorhang teilte sich zur musikalisch vollsaftigen Eröffnung mit dem ganzen Ensemble. Unbemerkt halfen alle mit, schubsten, drehten und stützten den Kurzatmigen, dessen Kopf auf Zeitlupe geschaltet war. Immerhin sang er mit, das gleiche Lied sogar und dieselbe Zeile, wie die andern, oder tat jedenfalls so. Beim raschen Abgang jedoch versagten ihm die Beine. Er stolperte und stürzte, fürs Publikum nicht mehr zu sehen.
    Dann war es wie in der Pause vor der zwölften Runde. Wir führten ihn in seine Ecke in der Garderobe, trockneten das erhitzte Gesicht, massierten ihm kreislaufanregend den Nacken, flößten ihm Wasser ein, tätschelten seine Backen, damit er präsent bleibe und fragten ihn, ob er sich tatsächlich zutraue weiterzumachen, oder ob wir das Handtuch werfen sollten.
    Seine Augen traten hervor. Schubartig erhob er sich, leer wie nur ein Voller es kann, starrte er in die Runde und wankte zur Tür.
    »Noch nicht !« warnte sein behutsamer Freund.
    Da schüttelte ein Schluckauf die Antwort aus ihm heraus. »Ich trete auf, wo und wann ich es für richtig halte !« Erneut geschüttelt, öffnete er griff sicher die Tür, stakste wie auf geliehenen Beinen über den Korridor zur Bühne. Als Betreuer schlichen wir ihm nach, um das Schlimmste zu verhindern.
    Im Blackout und Beifall für ein Chanson von Inge Bartsch verloren wir den Kontakt, glaubten aber ein Stöhnen zu hören. Die Scheinwerfer flammten wieder auf, Gott sei Dank, er stand noch da. Ein Ruck durchfuhr die rundliche Gestalt und gleichsam ausgenüchtert von Werner Bochmanns schmissiger Musik zu seinem Solo in Uniform, marschierte er ohne Wanken an die Rampe und siegte wie selten zuvor.
    Zirkuspferde sind aus anderem Stoff.
    Nach der Vorstellung wurde kein Wort mehr darüber verloren. Zu zittern, aufeinander angewiesen zu sein und selbstverständlich zu bestehen, gehörten zum Geschäft. Beinahkatastrophen und Miterlebnisse verbinden. Aus ihnen wächst das Ensemble. Bei Privattheatern wird das deutlicher als bei den Darstellungsbeamten subventionierter Häuser.
    Ich sog die leichtlebige Akkuratesse, die straffe Bohème der Schaubude auf wie ein Vollbier, im Gegensatz zu den damaligen Molkegetränken. Es ging so herrlich familiär zu. Mit aller Distanz, die Verwandten bisweilen gebührt. Viele kannten sich seit Jahren, zum Teil flüchtig-genau. Axel von Ambesser und Karl Schönböck, die in der Vorstellung gewesen waren,

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