Fröhliche Zeiten
Werner Richter, Mitfeierer, Mentor und Dompteur der Gruppe ‘47, die nach dem Kahlschlag im Goebbels’schen Propaganda-Wald die zarten Pflänzchen unschuldiger deutscher Buchstaben hegte und pflegte.
Spontan erinnert er sich an einen besonders vergnügten Faschingsabend unter dem Motto Bayerischer Kolonialhall — ein Fest der Künstler, Poeten, Maler, Schauspieler im Stil von 1910, zur ironischen Erinnerung an die herrlichen Zeiten unter Willi Zwo, speziell an die bayerischen Kolonien in Übersee. Also nicht weit weg. Übersee heißt ein kleiner Ort beim Chiemsee. Den Preis für die besten Masken — eine Flasche Sekt — gewannen der Bühnenbildner der Kammerspiele Wolf gang Znamenacek und die Kostümbildnerin Elisabeth Urbancic.
Doch zu Freund Hans Werner. Er sagt:
Vielleicht haben viele von uns in den ersten Nachkriegsjahren ihre Jugend nachgeholt, eine Jugend, die ihnen genommen wurde, nicht nur in den Jahren des Krieges, sondern auch in denen davor. Wir hatten überlebt und alles schien vorbei: der Haß, die Unterordnung, der Zwang, die Schikaniererei und die ständig vorhandene Furcht. Es entstand eine überschäumende Lebensfreude, gespeist von dem Gefühl: Wir sind noch einmal davongekommen.
Gewiß, Entbehrungen und Armut hielten noch lange an. Aber auch sie trugen zur Lebensfreude bei, sie beeinträchtigten sie nicht, sondern erhöhten sie. Jedes Fest, jede Feier war eine Art Bestätigung dafür, daß wir noch leben konnten. Die schönen Seiten des Lebens taten sich vor uns auf; die anderen, die häßlichen, die brutalen, die gemeinen, die kannten wir. Nun wollten wir sie vergessen. Wir waren voll großer Hoffnungen, vielleicht auch großer Utopien.
Diese ersten Jahre waren für uns der Aufbruch in eine neue und bessere Zeit. Nur so kann man sich erklären, warum wir in diesen Jahren keinen Anlaß zum Feiern ausließen, kein Fest versäumten, und je turbulenter es zuging, um so wohler fühlten wir uns. Der Nachholbedarf war ungeheuer. Und wenn ich von mir sprechen darf, es waren die schönsten Jahre meines Lebens.
Damit ist Freund Hans Werner nicht allein. Erst viel später begriffen wir, welche Freiheiten zur Entfaltung die Stunde Null uns bot. Kein Zwang von Milieu und Stand, keine Gesetze, keine Förderungsprogramme drängten das Individuum in vorgegebene Bahnen, kein Konkurrenzkampf entzweite Freunde, kein Ehrgeiz machte verwandte Gemüter zu Feinden.
Wann je war Chancengleichheit radikaler verwirklicht, wann Hilfsbereitschaft selbstverständlicher? Wann gab es vergleichbaren Ideenreichtum, um aus dem Nichts etwas zu machen, spielerisch mit der Leichtigkeit der Davongekommenen? Wann herrschte ein elementareres Bedürfnis nach Lebensfreude?
Von Gesellschaftssystemen, von Bevormundung im Gewand sozialen Fortschritts geheilt, warteten wir nicht auf staatliche Förderungen, machten kein Recht auf Starthilfe geltend, demonstrierten nicht für Pensionsanspruch nach dem Abitur. Mit viel Staat ist wenig Staat zu machen — das hatten wir schmerzlich erfahren und vertrauten allein auf die eigenen Kräfte und Einfälle.
Zeit war noch nicht Geld. Man hatte Zeit. Und brauchte sie für die tägliche Improvisation beim Freistilringen mit Verbot und Not. Vermögen, Unvermögen und nicht vorhandenes Vermögen wiesen den Weg in die ureigenste Richtung. Mit Phantasie, einer gewissen sportlichen Beharrlichkeit wurde man, von keinerlei Selbstverwirklichungsgeschwätz irritiert, zwangsläufig der, der man war. Ganz nach dem Rezept des Fürsten Metternich
Talente soll man hindern, damit sie reifen.
Wir Gehinderten — ein Freundeskreis von Feinden des alten Regimes in München — denken verjüngend an unsere Abenteuer durch Begrenzung zurück. Wir haben uns redlich geplagt.
Kommende Generationen sollten es einmal besser haben!
Eins ist uns mittlerweile klar: Mit ihnen tauschen möchten wir nicht.
Volkesstimme
Wir hatten die Nase von Politik und ihren Folgen unvorstellbar voll. Unser Widerwillen war nicht mehr zu bremsen. Gewissermaßen hinter dem Rücken des letzten, abziehenden SS-Mannes entfernten wir die Requisiten der großen Zeit, das Hoheitszeichen vor allem, jenen trutzigen Adler, der den Lorbeerkranz mit dem Hakenkreuz hält. Nichts sollte uns mehr dran erinnern.
Ein langjähriges Ärgernis wai) die bronzene Ehrentafel an der Feldherrnhalle, bewacht von je zwei SS-Männern mit Gardemaß und dem stupiden Geradeaus-Heldenblick der Statuen des Reichs-Muskelprotzers — des Bildhauers Joseph
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