Frösche: Roman (German Edition)
sprang aber auch Qin Strom weder in den Fluss, noch erhängte er sich. Er transformierte seinen Kummer in Kunst. Gugus Heirat machte aus ihm einen überragenden Volkskünstler, als wäre dem Schlamm ein Neugeborenes entsprungen.
Wang Leber hielt mir die Freundschaft und besuchte uns oft. Manchmal kam er von sich aus auf seine langjährige »Krankheit« zu sprechen. Dabei witzelte er, als spräche er von jemand anderem. Mich machte es froh, wie er damit umging. Das schlechte Gewissen, das mir viele Jahre keine Ruhe gelassen hatte, rumorte weniger. Es machte ihn mir vertrauter, er erwarb sich bei mir großen Respekt.
Sugitani san, teurer Freund, Sie werden vielleicht nicht glauben, was ich Ihnen jetzt über Wang Leber schreibe: Er erzählte uns einmal, Kleiner Löwe sei barfuß am Flussufer unterwegs gewesen, und da habe er ihre Fußabdrücke im Sand gefunden. Er sei ihnen wie ein Hund auf allen Vieren schnüffelnd gefolgt. Dabei habe er den Geruch durch die Nase eingesogen, während ihm die Tränen über das Gesicht liefen.
»Erzähl weiter solche Märchen«, sagte Kleiner Löwe damals mit rotem Kopf.
»Aber es ist wahr!«, beharrte Leber mit Inbrunst: »Wenn daran auch nur ein Wort gelogen ist, sollen mir auf der Stelle Furunkel aus den Haarspitzen wachsen!«
»Hört, hört!«, rief Shizi und dann, zu mir gewandt: »Dass ich nicht lache, wie sollen aus den Haarspitzen Furunkel wachsen? Da kann er ja gleich wetten, dass sein Schatten sich eine Grippe holt.«
Ich merkte natürlich sofort an: »Welch ein schönes Detail! Das nehm ich in mein Theaterstück auf.«
»Besten Dank«, konterte Leber. »Schreib diesen Bockmist, den der Narr namens Wang Leber so getrieben hat, ruhig auf. Ich hab hier noch Material in Hülle und Fülle.«
»Wenn du das tust«, drohte Kleiner Löwe prompt, »werfe ich dein Manuskript ins Feuer.«
»Auf Papier Geschriebenes kannst du verbrennen. Verse, die ich im Kopf habe, kriegst du nicht verbrannt.«
»Ich merk schon, du bist wieder eifersüchtig.«
Dann wandte sie sich Wang Leber zu: »Leber! Wenn ich’s mir recht überlege, hätte ich damals wohl besser dich geheiratet. Du hast doch wenigstens über meinen Fußabdrücken geweint.«
»Werte Gattin meines Freundes! Reiß hier bitte keine exotischen Witze! Du und Renner passen wie der Topf zu seinem Deckel.«
»Das kannst du wohl sagen. Topf und Deckel! Der Deckel kam drauf, aber der Topf blieb leer! Kein Kind, kein gar nix!«
»Themawechsel, bitte! Jetzt reden wir mal von deinen Heiratsplänen, Leber! Hast du dir schon eine ausgeguckt?«
»Seit ich von meiner Krankheit genesen bin, hab ich festgestellt, dass ich mich gar nicht in Frauen verlieben kann.«
»Bist du homosexuell?«, fragte Kleiner Löwe spöttisch.
»Ich bin gar nichts von alledem, ich liebe nur mich. Ich liebe meine Arme, meine Beine, meine Hände, meinen Kopf, Augen, Ohren, Nase, Mund, meine Eingeweide und inneren Organe, sogar meinen Schatten liebe ich. Mit ihm unterhalte ich mich übrigens regelmäßig.«
»Dich hat’s wohl wieder erwischt? Ist eine neue Krankheit im Anmarsch?«
»Liebt man einen anderen Menschen, so ist der Preis hoch. Liebt man sich selbst, zahlt man nicht dafür. Wie und wie viel ich mich liebe, ist meine Sache. Ich entscheide. Ich bin mein eigener Herr ...«
Leber nahm mich und meine Frau mit zu dem Quartier, das er gemeinsam mit Qin Strom bewohnte.
Über der Eingangstür hing ein hölzernes Türschild mit den Schriftzeichen für »Meisteratelier«:
大師工作坊
Zur Zeit der Volkskommunen hatte man hier Zugtiere und anderes Vieh gehalten. Ich war oft zum Spielen hierher hergekommen. Ich erinnere mich noch immer gut an den Geruch von Kuhmist und Mulidung, den ich jedes Mal in der Nase hatte.
Auf dem Hof stand neben dem Brunnen noch die große Wanne als Tränke, zu der der alte Stallknecht Fang jeden Morgen alle Tiere einzeln am Strick geführt und dort angebunden hatte.
Der junge Stallknecht Du hatte damals immer dabei gestanden und in einem fort Wasser aus dem Brunnen geschöpft, das er in die Wanne nachgoss.
Der Stall war groß und luftig gewesen, mit einer Abflussrinne in der Mitte und zwanzig Steintrögen. Die zwei großen ganz vorne hatten den Mulis gehört, die hinteren den Rindern.
Als wir den Hof betraten, sah ich, dass die zwanzig Anbinder der Mulis und Rinder noch da waren, auch die Parolen an der Wand konnte man noch entziffern, ja sogar der Geruch war geblieben.
»Die wollten das hier alles schon abreißen«,
Weitere Kostenlose Bücher