Frösche: Roman (German Edition)
eigentlich, wer jetzt unser Kreisvorsteher ist? Der Sohn unseres alten Kreisparteisekretärs Yang Lin, dem bei uns in Gaomi so furchtbar mitgespielt wurde und der zu Gugu diese undurchsichtige Beziehung hatte. Er heißt Yang Stattlich, nämlich Yang Xiong, ein super Typ mit elektrisierenden Augen und schneeweißen Zähnen, dazu verbreitet er den intensiven Duft von Markenzigaretten. Man erzählt sich, er habe in Deutschland seinen Universitätsabschluss gemacht. Er ist es auch, der zum einen beschloss, den Viehstall nicht abzureißen, und der zum anderen den Meister zu einem Kreisbankett einlud. Der Meister folgte der Einladung zwar nicht, weil er sich nicht traute, ganz wie unser Sprichwort sagt: Er kam mit dem Halfter in der Hand, denn allein wäre er nicht hingegangen. Darin ähnelt er unseren Männern, die sich von Gugu nicht sterilisieren lassen wollten. Und drittens brachte Kreisvorsteher Yang Stattlich dem Künstler Qin Strom eine Plakette und eine Urkunde, eine Art Meisterbrief, auf dem geschrieben steht, dass er ein Großmeister im Kunstgewerbe und der Bildenden Kunst ist.«
Wang Leber fischte die vergoldete Kupferplakette und den dazugehörigen blau-samtenen Meisterbrief aus einem der Tröge heraus.
Natürlich hatte Hao Große Hand auch eine Plakette und einen Meisterbrief bekommen. Auch er war zu diesem Bankett eingeladen gewesen. Er war natürlich auch nicht hingegangen. Wäre er sonst Große Hand gewesen?
»Dass die beiden sich rar machten, ließ sie in den Augen Yang Stattlichs noch mal in einem ganz anderen Licht erscheinen: vollendete Respektspersonen!«
Leber holte aus seiner Hosentasche ein Bündel Visitenkarten hervor, dem er drei Karten entnahm: »Schaut euch die an! Jedes Mal, wenn Yang Stattlich hier war, hat er mir seine Visitenkarte gegeben. Immer mit den Worten: ›Unser Gaomi gehört noch zu den wundersamen Orten, an denen sich Drachen und Tiger im Verborgenen aufhalten. Leber, du gehörst auch zu diesen Talenten und Helden!‹
Ich habe erwidert, ich sähe doch immer schäbig und abgerissen aus, hätte so viele Schwachstellen, außer dass ich mal so eine Schau mit meiner Liebestollheit abgezogen hätte, sei ja nichts gewesen, und jetzt sei ich Marktschreier und trüge Tonkinder zu Markte.
Was denkt ihr wohl, was er geantwortet hat? Er hat gesagt, jemand, der den Mumm habe, ein halbes Menschenleben lang für seine große Liebe zu kämpfen, der sei ja wohl ein außergewöhnlicher Mann. Und: ›Unser Nordost-Gaomi hat schon viele wertvolle und wundersame Menschen hervorgebracht. Ich finde, du bist einer von ihnen.‹
Dieser Typ ist durch und durch ein Kader der neuen Generation. Keiner der Regierungsbeamten, die mir bis heute begegnet sind, ist wie er. Bei der nächsten Gelegenheit werde ich euch mit ihm bekannt machen. Er hat mir die Aufgabe übertragen, mich um den Meister zu kümmern, um alles, was er zum täglichen Leben braucht, und um seine Sicherheit. Deshalb lief mir sofort eiskalt der Schweiß über den Rücken, als ich mitten in der Nacht bemerkte, dass der Meister nicht in seinem Bett lag. Was, wenn ihm etwas zugestoßen wäre? Wie sollte ich das dem Kreisvorsteher jemals beibringen?
Ich saß vor dem Herd und starrte ins Leere. Wie Wasser floss das Mondlicht durch Fenster und Türritzen herein. Im Schummerlicht des Herdfeuers zirpten zwei Grillen; sie erzählten mir von Traurigkeit und Einsamkeit. Da hörte ich aus dem Pferdetrog ein bitteres Lachen. Ich schnellte hoch und schaute hinüber. Da lag der Meister doch mit dem Gesicht himmelwärts im Trog. Weil der zu kurz war, hielt er seine Beine im Schneidersitz überkreuz und hatte die Arme über der Brust verschränkt. Er machte einen friedvollen und gelassenen Eindruck. Auf seinem Antlitz lag ein ruhiges Lächeln. Wenn man genau hinschaute, sah man, dass er schlief. Er musste wohl im Traum so bitter gelacht haben.
Ihr wisst vielleicht, dass wir in Nordost-Gaomi ein paar Genies haben, die unter schweren Schlafstörungen leiden, der mit Namen Leber ist zwar kein echtes Genie, hat aber diese Krankheit auch. Leidet ihr beiden eigentlich auch an einer Schlafstörung?«
Ich und Kleiner Löwe schauten einander an. Wir schüttelten den Kopf: »Wir haben so was nicht. Sobald der Kopf das Kissen berührt, beginnen unsere Nasen mit den typischen Schlafgeräuschen, und wir sind im Reich der Träume. Wir sind keine Genies.«
»Es ist nicht so, dass die Schlaflosen alle Genies wären. Aber umgekehrt leiden die Genies hier fast alle
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