Frösche: Roman (German Edition)
unter dieser Krankheit«, meinte Leber.
Gugus Schlafstörung war berühmt im ganzen Dorf: Nach Mitternacht, wenn alles schlief, konnte man weit draußen im Freien eine rauchige Stimme singen hören. Gugus Gesang. Während sie des Nachts stundenlang umherstreifte, knetete Große Hand Niwawa-Kinder. Die Schlafstörung der beiden war zyklisch und verschlimmerte oder verbesserte sich mit den Mondphasen. Bei Vollmond war gar nicht an Schlafen zu denken, bei Neumond fanden sie Ruhe.
Deswegen nannte Yang Stattlich, der gern anderen Ehrungen verschafft, die von Hao Große Hand stammenden Tonkinder Mondlichtkinder und rief sogar das regionale Fernsehen, das den Meister filmte, wie er in einer milchigweißen Vollmondnacht im Mondschein Kinder modelliert.
»Habt ihr die Sendung im Fernsehen nicht gesehen? Wenn nicht, nicht tragisch! Die Sendung lief als erste Folge der Reihe Legendäre Persönlichkeiten Nordost-Gaomis . Sie begann mit den Mondlichtkindern , damit wollte man Zuschauer für diese Reihe gewinnen. Die zweite Folge trug den Namen Der Großmeister im Pferdetrog , die dritte Das außergewöhnliche Redetalent , die vierte Die Sängerin bei den Froschkonzerten . Wenn ihr die Folgen der Reihe sehen wollt, sagt mir Bescheid, ein Anruf beim Sender genügt, und sie bringen die DVD vorbei. Die ungeschnittenen Fassungen! Ich werde ihnen empfehlen, noch eine Folge mit euch abzudrehen. Den Titel habe ich mir schon ausgedacht: Einhalt und Umkehr der Heimgekehrten .«
Ich und Kleiner Löwe blickten uns an und lachten. Wir wussten, dass mit Wang Leber mal wieder die Lust am Fabulieren durchgegangen war. Wir mussten ihn nicht entlarven. Wozu auch? Viel lieber wollten wir ihm weiter zuhören.
Leber fuhr fort: »Nach jahrelanger Schlaflosigkeit war der Großmeister nun endlich im Pferdetrog eingeschlafen, fest und tief, wie ein sorgloser Säugling. Wie das Neugeborene aus dem hölzernen Pferdetrog, den uns der Fluss vor Jahren zugeführt hatte. Ich war von Qin Stroms Anblick so ergriffen, dass mir die Tränen kamen. Nur wer selbst an Schlaflosigkeit leidet, weiß um die Qual des Wachliegens, nur wer die Schlaflosigkeit kennengelernt hat, weiß die Süße des Schlafs zu würdigen. Ich blieb neben dem Trog, hielt Wache, hielt den Atem an aus Angst, ein Geräusch zu machen und ihn womöglich wieder aus dem Schlaf zu reißen. Die Tränen verschleierten meinen Blick. Es war mir, als läge ein schmaler Weg zu meinen Füßen, zu beiden Seiten stünde das Gras hoch in der Aue, Wildblumen blühten in allen Farben und schwängerten die Luft mit ihrem süßen Duft, Schmetterlinge flatterten, Bienen summten und ein Ton würde mich locken. Es war der Gesang einer Frau mit einer tiefen, rauchigen Stimme, sie war mir so vertraut und so lieb. Ihr Gesang lockte mich immer weiter in die Aue. Ihren Oberkörper sah ich nicht, nur bis zur Taille erblickte ich sie, einen üppigen, ausladenden, ja ballonförmigen Hintern, schlanke Waden, rosige Fersen und zarte Fußabdrücke, die ihre Füße im nassen Sand hinterlassen hatten. Sie waren unfassbar deutlich. Sogar die Papillarleisten der Fußsohlen konnte man im Sand erkennen. Ich bin ihr gefolgt, immer weiter, der Pfad schien kein Ende zu nehmen ... Allmählich spürte ich, dass ich mit dem Meister zusammen unterwegs war, wann und von woher er gekommen war, blieb mir unklar. Wir folgten den rosigen Fersen durch die Aue, bis wir den Rand eines Moores erreichten. Der Wind trug aus dessen Mitte den Geruch von fauligem Gras und Matsch herüber. Zu unseren Füßen wuchsen Seggen und Riedbüschel, in einiger Entfernung sah man hohes Schilfrohr, Kalmus und Rohrkolben, viele Binsen und andere wundersame Pflanzen, deren Namen ich nicht kenne. Aus der Mitte des Moors hörte man Kinderstimmen ausgelassen lachen und lärmen. Die Frau, die nur bis zur Taille zu sehen war, rief mit ihrer betörend schönen Stimme über das Moor:
Ihr großen und kleinen
Dämonen und Geister!
In Goldner Robe mit jadenem Gürtel!
Erfuhrt ihr Güte,
gebt sie zurück und seid dankbar!
Ist man sie euch schuldig geblieben,
treibt eure Schulden ein!
Kaum war sie zu Ende, liefen ganze Heerscharen kleiner Nackedeis herbei, alle nur mit einem roten Lätzchen bekleidet. Manche hatten mitten auf dem Kopf einen einzelnen Zopf, der nach oben abstand, manche hatten den Kopf kahlgeschoren, manche den traditionellen Drei-Backstein-Kopf mit drei Haarzipfeln auf dem geschorenen Schädel, und alle riefen freudig durcheinander, während sie auf
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