Frösche: Roman (German Edition)
da plötzlich ein Jetpilot her?«
»Das sind nun wirklich alte Kamellen! Lass uns nicht wieder davon anfangen«, erwiderte mein großer Bruder, aber Xiangqun ließ nicht locker: »Kommt nicht in Frage! Ist ja affengeil! Tantes Wang Xiaoti setzt sich mit dem Flieger nach Taiwan ab. Danach frage ich meine Großtante.«
»Sei nicht auf Nervenkitzel aus, wenn du fliegen willst. Der Mensch muss patriotisch sein. Wenn du bei der Armee bist, ist das noch viel wichtiger als bei den Zivilisten, und wenn du Pilot bei der Luftwaffe bist, musst du noch mal doppelt so viel Patriotismus im Leib haben. Meinetwegen sei ein Dieb, überfalle Leute und werde ein Räuber, morde, brandschatze ... will sagen, sei alles, aber sei kein Verräter! Kein Landesflüchtiger, der ab in den Westen macht! Den Fluch des Verräters werden wir über Generationen nicht mehr los. Damit nimmt es kein gutes Ende ...«
»Ich seh schon, ich habe dich richtig ins Bockshorn gejagt! Aber Taiwan gehört«, sagte der ehrlose Xiangqun, »doch zum Vaterland. Da kann man doch mal rüberfliegen und sich umschauen.«
»Untersteh dich! Dann werd du lieber gar nicht erst Pilot, wenn du solche Ideen hast«, sagte meine Schwägerin. »Warte, ich telefoniere gleich mit Liu, dem Chef der bewaffneten Truppe, und sag ihm schon mal Bescheid, dass du es dir anders überlegt hast.«
»Reg dich ab, Mama! Ich bin doch noch nicht verrückt!«, sagte meine Neffe, »Wie käme ich dazu, nur an mein eigenes Glück zu denken und euch einfach im Stich zu lassen! Dazu kommt, dass die sich doch längst verbrüdert haben. Wenn ich rüberfliege, müssten die Taiwaner mich wieder zurückschicken.«
»So klingt das Wort eines echten Wan!«, warf mein Bruder ein. »In unserer Familie benehmen sich die Männer wie ganze Kerle und sind keine Loser wie diese Memme von Wang Xiaoti. Der hat doch das Leben meiner Tante zerstört!«
»Wer redet da über mich?« tönte es laut, als die Tante das Hoftor aufdrückte und ohne Zögern eintrat. Sie blinzelte, weil das helle Licht sie blendete. Deswegen drehte sie sich weg und setzte erst mal die Sonnenbrille auf. Sah cool aus, aber auch lächerlich.
»Wozu braucht ihr zum Essen diese Staatsbeleuchtung? Eure Großtante sagte immer: Auch wenn ihr im Stockdunkeln esst, das Essen schaufelt ihr euch noch lange nicht in die Nase. Strom wird aus Kohle gewonnen, von Menschen in tausend Metern Tiefe unter Tage abgetragen, in der leibhaftigen Hölle! Geldgierige Regierungsangestellte, korrupte Beamte und Grubenherren achten die Bergleute weniger als einen Dreck. Deswegen klebt an jedem Kohlenstück noch frisches Blut!«
Die Tante stemmte, während sie sprach, die rechte Hand in die Hüfte und zeigte mit dem linken Zeige- und Mittelfinger anklagend auf die Lampe. Angezogen war sie mit einer in den Siebzigern schwer modernen Militärkaderuniform aus Polyethylen. Die Ärmel trug sie hochgekrempelt. Sie hatte einen massigen, großen Körper und schlohweißes Haar. Wie ein Kreiskommunekader während der Kulturrevolution sah sie aus. Ich wurde von widerstreitenden Gefühlen übermannt. Wie konnte meine lotusblütengleiche Tante sich so verändert haben?
Als besprochen worden war, ob man sie zu dem Festessen einladen sollte oder nicht, waren mein großer Bruder und meine Schwägerin hin- und hergerissen gewesen. Sie hatten sich mit meinem Vater beraten, der einen Moment gezögert, dann aber entschieden hatte: »Wir werden es besser sein lassen. Außerdem wohnt sie ja nicht mehr bei uns im Dorf ... Wir können es ihr später immer noch sagen.«
Alle fühlten sich wie ertappt, als die Tante so plötzlich erschien. Peinlich berührt erhoben sie sich von ihren Stühlen. Alle waren verblüfft.
»Da kämpfe ich mich all die Jahre allein durchs Leben und komme endlich wieder nach Haus, und ihr bietet mir nicht mal einen Stuhl an?« Tantes Ton war bissig.
Alle reagierten auf der Stelle, und es entstand ein Tumult, weil ihr jeder gleichzeitig seinen Stuhl freimachte. Mein großer Bruder und seine Frau erklärten wieder und wieder:
»Wir haben doch als erstes an dich gedacht, wollten dich einladen. Der Ehrenplatz von uns Wans gebührt immer und zuallererst dir! Daran wird sich nie und nimmer etwas ändern!«
»Also ich muss schon sagen«, Tante Gugu ließ sich schwer auf den Platz neben meinen Bruder fallen, »da hast du den Mund zu voll genommen. Solange dein Vater am Leben ist, bin ich bestimmt nicht an der Reihe, den Ehrenplatz auf dem Lehnstuhl einzunehmen. Und
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