Frösche: Roman (German Edition)
die der Chinesen?
Wir Landeier hatten natürlich keine Ahnung, dass sich die Beziehungen zwischen China und der UdSSR gerade massiv verschlechterten. Keiner dachte an Politik, niemand vermutete einen Hintersinn, als Chen Nase die chinesischen Piloten durch den Vergleich mit den sowjetischen Flugkünsten schlecht machte, aber wir ärgerten uns sehr darüber. Jahre später, es war der Beginn der Kulturrevolution, wir gingen in die fünfte Klasse, ließ ihn einer unserer Klassenkameraden mit dieser alten Geschichte auffliegen. Nicht nur Chen Nase selbst hatte bitter darunter zu leiden, sondern mehr noch seine Eltern. Sie starben nach schwerer Folter an ihren Verletzungen und bezahlten seine kleine Gedankenlosigkeit mit dem Leben. Man fand bei ihnen zu Hause Boris Polewois Roman Der wahre Mensch, der von einem russischen Luftkampfhelden erzählt, der, obwohl ihm beide Beine amputiert worden waren, als Jagdflieger für die Luftwaffe weiterflog. Eigentlich ein wertvoller, auf Tatsachen beruhender Revolutionsansporn! Er wurde Chen Nases Mutter jedoch zum Verhängnis und brandmarkte sie als Fliegergeliebte der Sowjetimperialisten. Der Bastard Nase musste als Beweis für die Straftat seiner Mutter herhalten, man sagte, er sei mit einem sowjetimperialistischen Kampffliegerpiloten gezeugt worden.
Die Jetpiloten der Shenyang J-5 auf dem Gaomi-Flugplatz flogen tagsüber Flugübungen, die der Bomber auf dem Kiaoutschou-Flugplatz wollten nicht im Abseits stehen – sie flogen ihre Übungen nachts. Immer ungefähr um neun Uhr abends – wenn bei uns im Kreis das Kabelrundfunkprogramm zu Ende war – leuchteten auf dem Flugplatz plötzlich die Suchscheinwerfer auf. Der breite Lichtstrahl über dem Luftraum unseres Dorfes schockte uns. Auch wenn er keine scharfen Konturen entstehen ließ und nur alles erhellte, war er unglaublich beängstigend. Wie immer konnte ich meinen Mund nicht halten und tönte: »Wäre spitze, so eine Taschenlampe zu besitzen!«
»Idiot!«, rügte mich mein Bruder, während er mir mit dem Zeigefingerknöchel brutal auf den Kopf hämmerte, als wollte er mir Gehorsam einmeißeln. Es lag natürlich an unserem Onkel in spe, dass mein Bruder sich für eine Art Luftfahrtspezialisten hielt. Ohne Stocken zählte er auswendig alle Helden des Freikorps der Luftwaffe mitsamt ihren heldenhaften Taten auf. Er war es auch, der mir, als ich ihm mal wieder Kopfläuse absuchen musste, erklärte, der Knall, durch den unser Fensterscheibenpapier zerrissen worden war, heiße Überschallknall. Man höre ihn, wenn Überschallflugzeuge die Schallmauer durchbrächen.
»Was ist Überschall?«
»Überschall geschwindigkeit , du Doofkopf. Das ist, wenn etwas schneller als mit Schallgeschwindigkeit fliegt!«
Von den Flugübungen auf dem Kiaoutschou-Flugplatz war nichts als dieses rätselhafte Suchscheinwerferlicht zu bemerken. Es gab Leute, die sagten, es hätte gar keine Luftmanöver gegeben. Die Towerbesatzung hätte mit dem Scheinwerferlicht lediglich von der Flugroute abgekommenen Flugzeugen den Weg gezeigt. Sie suchten damit kreuz und quer das Terrain ab. Mal kreuzten sich die Lichtstrahlen, mal verliefen sie parallel. Mal erschien mitten in einem Lichtstrahl ein Vogel, flatterte verstört im grellen Licht wie eine Fliege, die sich in eine leere Flasche verirrt hat. Wenn die Scheinwerfer aufleuchteten, ertönte vom Himmel jedes Mal das Brummen von Flugzeugmotoren. Dann konnten wir die Umrisse so eines schwarzen Riesenviehs mit Nase, Heck und Tragflächen im Lichtstrom auftauchen sehen. Als rutschte es den Strahl hinab zurück in sein Nest. Flugzeuge mussten doch auch Nester haben. Wie die Hühner!
7
In der zweiten Jahreshälfte 1960, kurze Zeit nach dem Kohlenessen, hörten wir, dass meine Tante den Jetpiloten nun heiraten werde. Die Großtante kam zu uns, weil sie mit meiner Mutter über die Mitgift sprechen wollte. Schließlich beschlossen sie, den großen alten Trompetenbaum vor unserem Haus zu fällen. Unseren Baumgeist! Um aus seinem Holz von unserem allerbesten Tischlermeister Fan ein handgearbeitetes Möbelstück für unsere Tante tischlern zu lassen. Ich sah meinen Vater tatsächlich den Tischlermeister Fan zum Baum begleiten, um dort Maß zu nehmen. Der Baum sah seinem Tod entgegen. Die Zweige zitterten, die Blätter rauschten, als weinte er.
Dann hörten wir nichts mehr davon, und meine Tante kam auch nicht mehr zu Besuch. Ich rannte zu meiner Großtante, weil ich von ihr wissen wollte, was los war, wurde aber mit
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