Frösche: Roman (German Edition)
wohnen sollten. Dem gefleckten Hund der Frau mit den gelben Haaren aus Harbin machten die Dorfhunde den Garaus. Als er starb, war Alina hochschwanger und gebar kurz darauf Chen Nase. Man munkelte deswegen, dass der Säugling der wiedergeborene Dalmatiner sei. Und wirklich besaß er eine ungewöhnlich gute Nase. Vielleicht ist an dem Gerücht etwas dran. Meine Tante, die damals ihre Ausbildung zur Hebamme in der Kreisstadt schon beendet hatte – man hatte sie in neuen Methoden der Geburtshilfe ausgebildet –, war wieder zu uns aufs Land versetzt worden und ab 1953 die für uns zuständige Fachhebamme.
Die Dörfler widersetzten sich den neuen Geburtshilfemethoden, weil die alten Wehmütter böse Gerüchte streuten. Wenn man nach neuen Methoden entbinde, würden die Säuglinge windkrank. 1 Warum die Wehmütter solche Gerüchte streuten? Weil durch die neuen Entbindungsmethoden ihre Einnahmequelle versiegte. Für eine Entbindung wurden ein reichliches Essen im Hause der Wöchnerin, dazu zwei Handtücher und zehn Hühnereier bezahlt. Kam man auf die Wehmütter zu sprechen, fing meine Tante sofort an, mit den Zähnen zu knirschen, so hasste sie diese alten Weiber. Die Tante sagte, unzählige Neugeborene und Gebärende seien unter den Händen dieser Hexen gestorben. Entsetzliche Schreckensbilder blieben mir von ihren Schilderungen im Gedächtnis, von üblen Mundgeruch verbreitenden Wehmüttern mit langen Fingernägeln und teuflisch grün blitzenden Augen. Tante berichtete, sie würden den Bauch der Gebärenden mit dem Nudelholz bearbeiten. Sie mit einem Lumpen knebeln! Als würden die Babys durch den Mund kommen. Und sie könnten nicht ansatzweise sezieren, wüssten gar nichts über die Anatomie des weiblichen Körpers. Bei schweren Geburten würden sie mit bloßen Händen im Geburtskanal herumfuhrwerken und blind herausziehen, was sie gerade zu packen kriegten. Das Kind samt Gebärmutter wäre auch schon von so mancher dieser Hexen herausgezogen worden. Lange Zeit hätte ich, wenn ich einen hätte aussuchen müssen, den man exekutieren sollte, spontan geantwortet: eine Wehmutter. Später konnte ich nach und nach begreifen, warum meine Tante so radikale Ansichten vertrat. Barbarische, rückständige Wehmütter gab es ohne Zweifel, aber genauso gab es solche, die nach jahrelangen Erfahrungen die Geheimnisse des weiblichen Körpers ergründet hatten und die sich sehr gut auskannten. Meine eigene Großmutter war schließlich auch eine Wehmutter, sie handelte nach dem Prinzip: möglichst wenig, besser gar nicht in naturgegebene Vorgänge eingreifen. Sie liebte das Sprichwort Der reife Apfel fällt allein vom Baum und vertrat die Meinung, eine gute Wehmutter spricht der Gebärenden zuerst einmal Mut zu, sie unterstützt sie, und wenn das Kind dann draußen ist, durchtrennt sie mit der Schere die Nabelschnur, pudert sie mit Ätzkalk, verbindet sie und fertig. Doch meine Großmutter war bei uns im Dorf nicht wohlgelitten, die Leute sagten über sie, dass sie faul sei. Wehmütter, die immer alle Hände voll zu tun hatten, außen zerrten, innen im Geburtskanal rumorten, laut schrien und, gleich der Gebärenden, von Kopf bis Fuß schweißüberströmt waren, waren bei den Leuten beliebt.
Meine Tante ist die Tochter meines Großonkels, des älteren Bruders meines Großvaters. Er war Feldarzt bei der Achten Route-Armee. Er hatte zwar seine Ausbildung zum Arzt der chinesischen Medizin gemacht, lernte aber in der Armee unter Henry Norman Bethune die westliche Medizin kennen. Bethunes Tod infolge einer Blutvergiftung traf meinen Großonkel so schwer, dass er lebensbedrohlich erkrankte. Er bat um Heimaturlaub, um seine Mutter ein letztes Mal zu sehen, denn er glaubte sterben zu müssen. Seine Einheit bewilligte den Urlaub, um seine Krankheit zu kurieren. Als er zu Hause eintraf, war meine Uroma auch tatsächlich noch am Leben. Er hatte seinen Fuß kaum über die Schwelle gesetzt, da stieg ihm auch schon der köstliche Duft süßer Mungobohnensuppe, die über dem Feuer brodelte, in die Nase, denn meine Uroma hatte eilig den Wok geschrubbt und Mungobohnen aufgesetzt, und sie hatte sich nicht dabei helfen lassen. Mit dem Krückstock hatte sie ihre Schwiegertochter vom Herd ferngehalten. Mein Großonkel setzte sich auf unsere Türschwelle und wartete ungeduldig.
Meine Tante Gugu erzählte uns, dass sie sich, obschon sie damals noch so klein war, an jenen Tag erinnern konnte und dass sie sich nicht getraut habe, ihn »Vater« zu rufen, als
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