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Frösche: Roman (German Edition)

Frösche: Roman (German Edition)

Titel: Frösche: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Hobbygeologen über die Kohlen. Wie Hunde, die im Müll nach Essbarem suchen, schnüffelten wir die Kohlen ab.
    Nun ist’s an der Zeit, dass ich mich bei Chen Nase und Wang Galle bedanke. Denn es war Chen Nase, der zuerst ein Stück Kohle hochnahm, zur Nase führte und mit kraus gezogener Stirn darüber zu grübeln anfing. Nase mit seiner großen Nase, über die wir uns immer lustig machten! Er dachte angestrengt nach, dann schlug er zwei Kohlen aufeinander, ein Ton, und sie zerschellten. Sie gaben einen intensiven Duft frei. Er las ein kleines Stück vom Boden auf, auch Wang Galle hob ein Stückchen auf. Er leckte vorsichtig daran, kostete, begann mit den Augen zu rollen und blickte uns an. Sie machte es ihm nach, leckte an der Kohle und schaute zu uns herüber. Dann blickten beide einander an, lächelten und begannen, als hätten sie sich abgesprochen, mit den Schneidezähnen vorsichtig daran zu knabbern, sie kauten und schluckten. Gleich bissen sie noch ein Stück ab, kauten aufgeregt und schluckten gierig. Chen Nases große Nase war gerötet und von kleinen Schweißperlen übersät, Wang Galles kleine Nase schwarz und mit einer dicken Schicht Kohlenstaub gepudert. Gebannt schauten wir ihnen zu. Wie geräuschvoll sie die Kohlen kauten. Dass sie sie tatsächlich schluckten! Hinunterschluckten! Mit leiser Stimme raunte Nase uns zu:
    »Kameraden! Die schmecken!«
    Mit schriller Stimme rief die Kleine: »Esst! Schnell, esst!«
    Chen Nase griff sich wieder eine Kohle und biss herzhaft hinein. Die Kleine klaubte ein großes Stück auf und gab es an ihren Bruder Leber weiter. Wir machten es ihnen nach, schlugen die Kohle in Stücke, lasen sie auf, nagten erst ein Stückchen ab, kosteten und fanden, obschon es etwas sandig war, dass es gut schmeckte. Chen Nase gab bereitwillig Auskunft, streckte eine Hand mit einem feinen Stück Kohle in die Höhe und rief uns zu: »Kameraden, esst solche Stücke! Die schmecken prima.« Er zeigte auf das fast durchscheinende, bernsteinfarbene Etwas. »Die mit dem Pinienduft, die schmecken gut!«
    Wir hatten im Naturkundeunterricht schon gelernt, dass die Kohle vor vielen Erdzeitaltern aus Wäldern, die tief in der Erdkruste vergraben ruhten, entstanden war. Den Naturkundeunterricht erteilte uns unser Schulleiter Wu Jinbang. Aber geglaubt hatten wir ihm nicht, unserem Naturkundebuch hatten wir auch nicht geglaubt. Denn der Wald war doch grün, wie hätte daraus schwarze Kohle werden sollen? Schulleiter und Schulbuch hatten uns einen gewaltigen Bären aufgebunden! Aber als wir den Pinienduft der Kohlen schmeckten, begriffen wir, dass wir nicht betrogen worden waren und dass es stimmen musste. Mit Ausnahme von ein paar Mädchen waren alle 35 Schüler unserer Klasse versammelt, und alle griffen sich ein Stück Kohle und nagten, knabberten, kauten und schluckten eifrig mit dem gleichen erregten Gesichtsausdruck. Es war wie Stegreiftheater, wie ein geheimnisvolles Spiel. Xiao Unterlippe drehte sein Stück Kohle in der Hand hin und her, aß aber nicht, sondern musterte es voller Verachtung. Er aß nicht, weil er keinen Hunger verspürte. Keinen Hunger hatte er, weil sein Vater das Getreide im Getreidespeicher verwahrte.
    Der Kantinenkoch Wang war sprachlos, als er uns sah. Mit bemehlten Händen kam er aus der Küche gerannt. Himmel! Er hatte Mehl an den Händen! Gegessen haben in unserer Schulkantine damals nur unser Schuldirektor, der Drillmeister und zwei Kommunekader, die bei uns auf dem Land wohnten. Der alte Wang rief außer sich: »Kinder, was tut ihr da? Ihr esst doch nicht etwa ... Kohle? Kohle kann man doch nicht essen!«
    Galle streckte ihre winzige Hand mit einem Stück Kohle hoch und rief mit feinem Stimmchen: »Onkel! Sie schmeckt so lecker! Hier, probier doch mal!«
    Er schüttelte nur den Kopf: »Galle, meine Kleine! Wie ist es möglich, dass ein kleines Mädchen mit einem flegelhaften Haufen Buben solchen Blödsinn treibt?«
    Die Kleine biss wieder von der Kohle ab: »Onkel, sie schmeckt wirklich lecker!«
    Als sie es sagte, ging die Sonne glutrot im Westen unter. Die zwei Kader, die regelmäßig in der Schulkantine mitaßen, kamen mit dem Fahrrad auf den Schulhof gefahren und staunten nicht schlecht, als sie uns bei den Kohlen sahen. Der alte Wang ließ die Tragstange durch die Luft sausen. Er wollte uns damit vom Hof jagen, aber der Kommunekader Yan – er war ein Vizedirektor – verbot es ihm. Mit bitterböser Miene hob er Einhalt gebietend die Hand, machte auf dem Absatz

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