Frost, Jeaniene
Energie
deformierten ihren gesamten Körper in blitzschnellen Schüben. Bloß ein kleiner
Teil von ihr nahm wahr, dass Rom sich umdrehte, um ihr einen erstaunten Blick
zuzuwerfen.
»Was zur
Hölle soll das?«, murmelte er.
Ein Heulen
drang aus ihrer Kehle, so abscheulich und schrill wie die Laute, die sie in
ihren Alpträumen heimgesucht hatten. Dann bückte Denise sich und zog das
Knochenmesser aus dem Sand.
Sie würde
dem Dämon zeigen, was zur Hölle das
sollte.
Mit einem
weiteren schauerlichen Brüllen stürzte sich Denise auf Rom.
36
Spade
fühlte das Vibrieren in seiner Tasche trotz des Windes, der an seinen Kleidern
zerrte. Er holte sein Mobiltelefon hervor, und Hoffnung keimte in ihm, als er
die Nummer des Anrufers sah.
»Denise!«,
rief er, als er an den Apparat ging. »Wo bist du?«
Im
Hintergrund ertönte ein furchtbares, knochendurchdringendes Heulen, bevor
Spade Nathanials schwache Stimme vernahm.
»Beeil
dich. Ich kann ihr nicht helfen. Ich weiß nicht einmal, welcher davon sie ist
...«
»Wo ist
sie?«, donnerte Spade. Er würde diesen verfluchten Kerl
umbringen, falls ihr irgendetwas zustieß. Er würde ihm das Fleisch von den
Knochen reißen ...
»Unter
einem der beiden Piers im Alten Hafen von Marseille. Beeil dich.«
Spade
fluchte, als die Verbindung abbrach. Selbst mit Höchstgeschwindigkeit war
Marseille mehr als anderthalb Stunden entfernt. Konnte Denise den Dämon so
lange in Schach halten?
Noch
während er Crispin anrief, richtete er seinen Körper wie eine Kugel nordwärts
aus. Crispin ging beim ersten Läuten dran.
»Sie ist
unter einem der beiden Piers im Alten Hafen von Marseille. Der Dämon ist auch
dort. Wo steckst du?«
»Ich bin
immer noch in La Condamine, beinahe zwei Stunden entfernt«, entgegnete Crispin
mit unverhohlener Frustration.
Und
Mencheres war sogar noch weiter entfernt, in Genua. »Komm dorthin, so schnell
du kannst«, sagte Spade und unterbrach die Verbindung.
Er
kanalisierte seine gesamte Energie auf einen Punkt südwestlich, in der Ferne.
Er musste dort sein. Nicht hier, dort. Jetzt. Denise brauchte ihn. Mach schneller.
Blitzartige
Bilder von Giseldas zerschmettertem Leichnam am Grunde der Schlucht erfüllten
seinen Verstand - ihr Haar von Blut gerötet, das Gesicht vor Schmerz erstarrt,
der Körper immer noch wärmer als der Schnee um sie herum. Sie war erst ein paar
Stunden tot gewesen, als er an jenem Tage eingetroffen war. Das Wissen darum,
wie wenig Zeit zwischen seiner Ankunft und ihrem Tod vergangen war, hatte ihn
mehr als ein Jahrhundert lang heimgesucht, doch was, wenn er Denise jetzt
verlor, bloß weil er Minuten zu spät kam?
Er würde
nicht versagen. Das durfte er nicht. Los. Schneller.
Der Boden
unter ihm verschwamm zu nichts. Lediglich die Wasserfläche am Horizont war von
Belang, die ihn mit einem Flüstern lockte: Sie ist
hier. Wenn er sich genügend konzentrierte, glaubte er, Denise
beinahe fühlen zu können, ihr verzweifeltes Ringen gegen den Dämon wie Säure
auf seiner Zunge zu schmecken.
Weiter. Schneller.
Zeit
verstrich. Das dunkle Wasser in der Ferne wurde zu mehr als einem diesigen
Klecks am Horizont. Die Gebäude, die die Ufer des Meeres säumten,
kristallisierten sich zu mehr als unförmigen, vagen Klumpen. Nach einigen weiteren
Minuten konnte er die Basilika ausmachen, das Wahrzeichen der Stadt, mit ihrer
goldenen Statue der Jungfrau Maria, die wirkte, als würde sie über Marseille
wachen. Er änderte eine Winzigkeit die Richtung, um auf den Alten Hafen
zuzusteuern. Jetzt dauert es nicht mehr lange. Komm schon, Denise.
Kämpf weiter.
Einige
Minuten später kamen die Umrisse der Piers in Sicht. Spade bildete seinen
Körper noch stromlinienförmiger aus, in dem Versuch, selbst den geringsten
Luftwiderstand zu vermeiden; seine Leistungsfähigkeit hatte ihre Grenze erreicht.
Dennoch konnte er immer noch nicht sehen, was sich unter den Piers abspielte.
Gleichwohl, er hatte immer noch nicht den richtigen Winkel, er war immer noch
zu hoch ...
Spade
tauchte so weit nach unten, wie es ihm möglich war, ohne Gefahr zu laufen, in
irgendeins der Bauwerke zwischen sich und seinem Ziel zu krachen. Trotz des
brüllenden Winds drang jetzt ein erstes Heulen an sein scharfes Gehör, das
klang wie das Wehklagen der Verdammten. Waren das die Laute von Denise, die
noch immer gegen den Dämon kämpfte, oder Rom, der sich seines Sieges erfreute?
Los. SCHNELLER.
Innerhalb
der nächsten paar Sekunden, die sich wie in Zeitlupe
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