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Frostfeuer

Frostfeuer

Titel: Frostfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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biss.
    »… wollen dir nur helfen«, hörte sie Maxim noch einmal sagen, dann bekam sie einen Stoß und stolperte hinaus auf die Eisentreppe. Sie strauchelte und bekam erst im letzten Moment das Geländer zu fassen. Noch nie in ihrem Leben hatte sie etwas so Kaltes berührt. Mit einem Aufheulen riss sie die Hände zurück, wirbelte herum – und starrte in Maxims lächelndes Gesicht. Ein Stoffknäuel flog auf sie zu – der alte Mantel, den er in der Hand gehabt hatte. Im selben Moment fiel die Tür ins Schloss, und mit einem Knirschen rastete der Riegel an der Innenseite ein.
    »Lasst mich rein!«, schrie sie panisch und hämmerte mit beiden Fäusten gegen die Tür. »Bitte! Lasst mich wieder rein!«
    Sie hatte noch immer die leise Hoffnung, dass der Streich nun lange genug gedauert hatte. Dass die Tür jeden Moment wieder aufschwingen würde. Dass man sie zurück ins Warme, ins Haus ziehen und unter viel Gelächter den Korridor entlangjagen würde. Aber die Tür blieb geschlossen.
    Und Maus war allein im Freien.
    Sie stand da und schlotterte, doch daran trug die Kälte nur einen Teil der Schuld. Um ihre Brust schien jemand einen Riemen zusammenzuziehen, sie bekam kaum noch Luft. Ihr Magen wollte sich nach außen stülpen. Alles an ihr zitterte und bebte, ihre Stimme versagte. Auf ihren Wangen gefroren die Tränen, wurden von den nachfließenden getaut und erstarrten erneut.
    Es war so dunkel, dass sie nur mit Mühe die oberen Stufen der Gittertreppe erkennen konnte. Aber es war ohnehin undenkbar, dass sie einen Fuß darauf setzen würde. Sie konnte es nicht. Die Leere der Außenwelt verhärtete sich um sie wie Harz, hielt sie fest, ließ sie in Reglosigkeit erstarren. Ihre Muskeln krampften und weigerten sich, ihr zu gehorchen.
    Sie wusste nicht, wie lange sie so dastand.
    Als sie schließlich ihre Erstarrung überwand und ganz, ganz vorsichtig einen Fuß auf die oberste Stufe setzte, da war es, als müsste sie einen Eispanzer zerbrechen, der sich um ihren Körper gelegt hatte. Erneut blieb sie stehen, packte den Mantel und zog ihn über. Er war viel zu groß, das Kleidungsstück eines Erwachsenen. Der Saum schleifte über den Boden, und ihre Hände verschwanden tief in den baumelnden Ärmeln.
    Ihre Bewegungen waren so zittrig, dass sie beinahe ausgerutscht und abgestürzt wäre. Wieder musste sie sich an dem eisigen Geländer festhalten, und selbst durch den Mantelstoff war die Kälte grauenvoll. Ihr ganzes Leben hatte sie in den beheizten Räumen des Hotels zugebracht. Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie gar nicht gewusst hatte, was wahre Kälte bedeutete.
    Ihr Blick suchte den Himmel, aber auch dort waren nur Schwärze und Millionen nassschwerer Schneeflocken, die lautlos zu Boden fielen. Unten erschien ihr wie oben, alles dunkel, alles leer, alles so schrecklich weit und grenzenlos.
    Ihre Augen gewöhnten sich zaghaft an die Finsternis, und nun sah sie, dass sich die Treppe in einer schmalen Gasse befand. Gleich gegenüber der Rückwand des Hotels wuchs eine Ziegelsteinmauer in die Höhe, hoch hinauf bis Gott weiß wohin.
    Mit dem Rücken zur Wand begann sie den Abstieg. Eine Stufe nach der anderen. Nicht einmal die furchtbare Kälte konnte sie dazu bringen, schneller zu gehen. Sie hatte immer größere Mühe, Atem zu holen. Die Panik nistete in ihrem Brustkorb, warf Fangarme aus, die sich um ihre Muskeln legten und ihnen eigene Bewegungen aufzwangen wie die Fäden eines Puppenspielers seiner Marionette.
    Stolpernd bewegte sie sich die Stufen hinab in die Tiefe.
    Vier Stockwerke können ein endloser Abgrund sein, wenn sie durch eiskalte, schneedurchwehte Dunkelheit führen. Aber weder die Schwärze noch die Höhe waren es, die Maus so zusetzten. Es war die Gewissheit, draußen zu sein. Im Freien. Sie hatte oft mit Kukuschka über ihre Furcht vor der Außenwelt gesprochen, aber nicht einmal er wusste eine Erklärung dafür. Irgendwas in meinem Kopf, hatte sie damals gedacht. Jetzt aber, als es so weit war, dachte sie gar nichts mehr. In ihrem Verstand war nur Leere, so wie am Himmel über ihr.
    Stufe um Stufe. Quälend langsam.
    Die Kälte würde sie umbringen, wenn sie nicht schneller lief. Sie wusste, dass jede Nacht Menschen auf den Straßen Sankt Petersburgs erfroren. Menschen ohne Geld, ohne Bleibe. Sie dagegen hatte ein ganzes Hotel für sich. Wäre da nur nicht diese Mauer, die sie davon trennte. Und die endlose Entfernung bis zum Vordereingang.
    Sie würde es nicht schaffen. Niemals. Mit jeder Stufe,

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