Frostfeuer
doch«, sagte die Frau, machte aber keine Anstalten, sie abzusetzen.
»Bitte … ich …«
Und dann wurde sie tatsächlich zu Boden gelassen, stand auf eigenen Füßen, gleich vor der Drehtür, wo im Sommer der rote Teppich in das Hotel mündete.
Licht. Wärme. Wände. Decken.
Sicherheit.
Maus stand da, immer noch unsicher, halb taumelnd. Sie schaute sich um. Die Frau war verschwunden, aber die Wärme in Maus’ Innerem blieb. Sie fror nicht mehr.
Irgendwie stolperte sie durch die Drehtür. Der lange Mantel verfing sich darin. Maus streifte ihn im Laufen ab und ließ ihn liegen wie einen verlorenen Schatten.
Der Nachtportier blickte ihr verwundert hinterher und rief etwas, dem sie keine Beachtung schenkte.
Dann war sie im Treppenhaus, das in den Keller führte, hielt sich am Geländer fest, eilte nach unten. Es konnten gar nicht genug Stein und Holz und Mörtel um sie herum in die Höhe wuchern.
Die Erinnerung an die Frau verblasste gemeinsam mit der Wärme in ihrem Körper. Im Keller war es ebenfalls kalt, aber längst nicht so frostig wie im Freien.
Bald erreichte Maus ihre Kammer, die gemauerte Höhle im Erdinneren, in der sie tagsüber schlief und bei Nacht Schuhe putzte. Vor dem heißen Kohleofen kauerte sie sich zusammen, horchte auf das Fauchen der Flammen und spürte, wie die gefrorenen Tränen auf ihren Wangen zerschmolzen.
Das Kapitel, in dem wir von Maus’ Geheimnis hören. Und vom Eisenstern
Am Nachmittag des nächsten Tages öffnete Maus die Tür zum Dampfbad für die männlichen Gäste. Sie hatte das Zittern der vergangenen Nacht nicht aus ihrem Körper vertreiben können, ganz gleich, was sie auch versucht hatte. Aber größer noch als die Furcht und die Scham vor den Pagen war die Angst, ihre Aufgaben zu vernachlässigen.
Das Dampfbad lag im Erdgeschoss des Grandhotels, weit entfernt vom Glanz der Eingangshalle und am Ende gewundener Korridore. Die Wände der kuppelförmigen Bäderkammern waren vom Boden bis zu den Deckenwölbungen gekachelt, mit tausenden und abertausenden glänzender Fliesen, keine größer als ein Handteller. Meist waren sie zu kunstvollen Mosaiken angeordnet –, Jagdszenen aus den russischen Wäldern, Schiffe auf hoher See oder fantasievolle Unterwasserlandschaften. Von der Hitze, den Duftölen im Dampf und vom Schweiß der Besucher beschlugen die Kacheln, und rasch bildete sich ein fettiger Schmierfilm.
Maus’ zweite Pflicht im Hotel war es, die Kacheln sauber zu halten. Natürlich war es völlig unmöglich, jemals damit fertig zu werden. Bevor sie am hinteren Ende des letzten Kuppelraumes ankam, wurde sie mit verlässlicher Regelmäßigkeit dafür gerügt, dass die Fliesen im vorderen Raum schon wieder schmutzig waren.
Jeden Tag suchte sie sich durch die Schwaden einen Weg zu jener Stelle, an der sie am Vortag mit dem Säubern aufgehört hatte, und fuhr fort, Kachel um Kachel zu polieren. Sie trug dabei schlichte Leinenkleidung, die sie im Dunst fast unsichtbar machte. Und falls doch einmal einer der nackten Männer in den Bädern sie bemerkte, machte es ihm nichts aus, denn alle hielten sie ohnehin für einen Jungen.
Während Maus den Lappen in die Seifenlauge tauchte, dachte sie an die Geschehnisse der vergangenen Nacht. Sie wünschte sich verzweifelt, mit Kukuschka darüber reden zu können, doch der kam erst in einer Stunde, wenn seine Schicht als Eintänzer begann. Sie hatte eine Nachricht durch die Ritze seines Spinds geschoben; er würde sie finden, wenn er in seine piekfeine Abendgarderobe schlüpfte. Im Gegensatz zu vielen anderen Bediensteten wohnte er nicht im Aurora, sondern besaß eine winzige Wohnung am anderen Ufer der Newa. Im Frühjahr und Sommer zog er Blumen auf seiner Fensterbank. In seinen freien Stunden saß er am offenen Fenster, blickte über die Blüten hinweg auf den Fluss und atmete ihren Duft ein. Manchmal erzählte er Maus davon, aber nicht oft. Vielleicht dachte er, es würde sie traurig machen. Aber sie verspürte keine Sehnsucht nach Blumen oder dem Blick über die Newa. Vier Wände aus Stein und eine solide Decke waren alles, was sie sich wünschte.
Maus stieg von der Leiter, die sie benutzte, um an die oberen Kachelreihen heranzukommen, und rückte sie ein Stückchen weiter. Sie bemühte sich, nicht nach rechts und links zu sehen. Der Anblick der Männer war ihr unangenehm. Manche trugen ein Handtuch um die Hüften, die meisten jedoch gar nichts. Viele waren alt und dick, und ihre Umrisse schoben sich verschwommen durch die
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