Frostfeuer
Dunstschwaden wie Dinosaurier durch Urzeitennebel.
Sie wollte gerade nach dem Eimer mit der Seifenlösung greifen, als ihre Finger von der glitschigen Oberfläche abrutschten. Mit einem Poltern fiel das Gefäß auf den gefliesten Boden.
Ehe Maus reagieren konnte, schob sich neben ihr ein fleischiger Koloss aus dem Dunst, trat barfuß in die Pfütze und rutschte aus. Mit einem widerlichen Laut klatschte der fette Mann der Länge nach auf den Boden.
Er schrie auf, wollte aufstehen, glitt abermals aus und blieb fluchend und jammernd liegen. Bevor er Maus entdecken und ihr die Schuld geben konnte, packte sie Eimer und Leiter und zog sich in den Nebel zurück, verbarg sich hinter den wogenden Schwaden.
Ich sollte mich nicht verstecken, dachte sie.
Ich sollte mich allem stellen, was mir Angst macht.
Ich sollte nach draußen gehen. Aus freien Stücken. Ich muss mir beweisen, dass ich es kann, wenn ich nur will.
Aber erst einmal lief sie davon, ehe das Geschrei des Dicken andere herbeilocken konnte. Sie versteckte Leiter und Putzzeug in einer Nische und rannte durch die Tür des vorderen Kuppelbades. Rechts und links lagen die Umkleideräume. Niemand kam ihr entgegen.
An der Tür zu einem der Dienstbotengänge ließ sie Hitze und Feuchtigkeit zurück. Wie eine Lokomotive unter Volldampf zog sie eine Spur weißer Atemwölkchen hinter sich her. Nur gut, dass sie so schnell verpufften und keine Spuren hinterließen. Das Licht war hier schwach und flackerte. Gänge wie diesen gab es einige im Aurora; sie sahen aus wie Tunnel, die jemand durch massives Gestein getrieben hatte. Nur das Personal benutzte sie.
Vor ihr trat jemand aus einer Wand aus Schatten.
»Kukuschka?« Sie blieb atemlos stehen.
Er trat in den Schein einer Glühbirne. Wie Quecksilber ergoss sich das Licht über breite Schultern, grobe Züge.
Ihre Erleichterung verpuffte so schnell wie sein Atem, als er sie ansprach:
»Aufruhr im Dampfbad! Und du in der Nähe!«
Der Rundenmann.
*
»Aufruhr?« Nur nicht stammeln. Zeig ihm nicht, wie viel Angst er dir macht. »Ach ja?« Warum wusste er nur so schnell davon? Und wie kam er so rasch hierher? Aber dann fiel ihr ein, dass der Rundenmann alles wusste. Immer ein wenig früher als andere, immer ein wenig genauer. Vor allem die unangenehmen Dinge. Er verzog keine Miene. »Wo willst du hin?«
»Sonderauftrag vom Concierge«, log sie. »Unten in der Waschküche. Ratten fangen. Die Waschfrauen haben sich beschwert. Und außer mir will sich keiner darum kümmern.« Am liebsten hätte sie immer weitergeplappert, ihr Lügennetz größer und größer gesponnen, um ihm nur ja keine Gelegenheit zu geben, Fragen zu stellen.
»Ich muss hinter die Zuber kriechen. Und über die Mangeln. Ich mach das ja nicht zum ersten Mal, wissen Sie, und meistens –«
»Du hast irgendwo ein Versteck«, unterbrach er sie, ohne auf ihre Worte zu achten.
»Vor wem sollte ich mich denn verstecken?« Als wäre das nicht offensichtlich.
»Du versteckst die Sachen, die du stiehlst.«
»Aber ich stehle nicht!«
Seine Hand zuckte vor, und diesmal packte er sie so fest am Oberarm, dass es wehtat. »Bring mich hin!«, verlangte er.
Eine dritte Stimme schnitt durch das Dunkel des langen Korridors: »Was ist hier los?« Empörter Tonfall, schnelle Schritte.
Dann war Kukuschka neben ihnen.
»Ich verlange zu erfahren, was Sie hier tun!« Kukuschka sah dabei den Rundenmann direkt an und hielt dem Blick des größeren, kräftigeren Mannes mit einem Selbstbewusstsein stand, für das Maus ihren rechten Arm gegeben hätte.
Der Rundenmann zog seine Hand nicht zurück. Tatsächlich stand er da wie ein Automatenmensch, dessen Antriebskurbel zerbrochen war.
Nur in seinen Augen war Leben. Blanker Zorn.
»Lassen Sie auf der Stelle das Kind los!« Kukuschka war mutig, es derart energisch auf eine Konfrontation ankommen zu lassen. Er war ein schmaler Mann, nicht schmächtig, auch nicht schwächlich, aber der klobigen Statur des Rundenmannes eindeutig unterlegen. Sein früh ergrautes Haar erschien in der flackernden Beleuchtung schneeweiß. Nur wenn er lachte, konnte man erahnen, dass er jünger war, als er auf den ersten Blick erschien. Anfang vierzig, wusste Maus. Ungefähr so alt wie der Rundenmann.
Der Prankengriff an ihrem Arm lockerte sich, kniff dann noch einmal so fest zu, dass sie aufstöhnte, und ließ sie schließlich los. Erfolgreich kämpfte sie gegen den Impuls an, vor ihrem Peiniger zurückzuweichen. Stattdessen blieb sie
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