Frostherz
wenn er außerhalb des Hauses mit seinem Vater reden musste. Nein, eigentlich hasste er es grundsätzlich, mit ihm zu reden. Außer Vorwürfen und Ermahnungen fiel seinem Vater nicht viel zu seinem Sohn ein. Er war nie der Typ gewesen, der mit ihm gespielt, Ausflüge gemacht oder über die großen Fragen des Lebens diskutiert hätte. Er fand, Cornelius war ein guter Sohn, wenn man ihn nicht bemerkte und er keinen Ärger machte. Wie pflegte eine ältere, englische Bekannte aus Bangkok immer zu sagen: Children should be seen, not heard. Daran hielt sich sein Vater gerne.
»Ich hab’s eilig, ich muss was erledigen«, sagte Cornelius und beschleunigte seine Schritte.
»Ich hoffe, es sind deine Hausaufgaben«, rief ihm Rosen hinterher. »Ach, und noch was: Hängst du jetzt eigentlich öfter mit dieser Anne Jänisch herum?«
Cornelius drehte sich langsam um. »Seit wann interessiert dich so was?«
Sein Vater hob geringschätzig eine Augenbraue. »Die ist ja nun wirklich nicht dein Kaliber. Intelligent und brav – das Gegenteil von dir.«
Cornelius wusste, wie schnell er den Alten mit dem Übergewicht und den kurzen Beinen abhängen konnte. Es gelang ihm spielend. Er starrte auf den Asphalt unter seinen Füßen und versuchte, seinen Ärger hinunterzuschlucken. Immer will er mich kleinmachen, immer, dachte er.
»Hey, Krieger«, riss ihn eine weibliche Stimme aus seinen düsteren Gedanken. Warum hatte er ausgerechnet in dieses Kleinstadt-Kaff geraten müssen, wo man ständig irgendwen traf, den man kannte. In Bangkok war das außerhalb der Schule so gut wie nie passiert. Der Blick in das zur Stimme gehörige Gesicht hellte seine Stimmung nicht gerade auf. Ami. Ami hieß eigentlich Amanda, aber weil sie Amy Winehouse so ähnlich sah – toupiertes Haar, viel schwarzes Make-up um die Augen, kleine, dünne Hemdchen und knallenge Hosen –, nannte sie jeder nur Ami. Sie konnte absolut nicht singen, aber ihr Drogenkonsum war in der Schule geradezu legendär. Trotzdem leistete sie sich nur selten Aussetzer, gelegentlich blieb sie dem Unterricht fern. Einen Schulverweis hatte sie bisher nicht riskiert und ihre kleinen Geschäfte tätigte sie sehr diskret und niemals auf dem Schulgelände. Wie sie es bis in die 12. Klasse geschafft hatte, war Cornelius rätselhaft. Irgendwie schien sie doch an ihrer Zukunft interessiert zu sein.
»Brauchste was?« Ihr Lächeln entblößte eine Reihe weißer Zähne, auf einem funkelte so etwas wie ein kleiner Diamant, in ihrer Unterlippe baumelte ein Piercing. »Obwohl, du schuldest mir eh noch Kohle!«
»Nein, hab ich dir letzte Woche gegeben, schon vergessen?« Er klang aggressiver, als er eigentlich wollte.
»Stimmt«, lenkte sie ein. »Was ist? Ein Kaffee für deine alte Freundin?«
»Biste mal wieder pleite?« Jetzt musste er doch schmunzeln. Dass sie sich als »alte Freundin« bezeichnete, war ja auch wirklich lachhaft.
Während sie zum Barista gingen, Cornelius’ Lieblingscafé, hakte sich Ami bei ihm ein. Ihr Geruch war nicht gerade das, was man anziehend nannte: eine grausige Mischung aus kaltem Rauch, zu süßem Parfüm und ungewaschenem T-Shirt. Er spürte, dass sie ihn mochte – kein Wunder, war er doch so ziemlich der Einzige an der Schule, der genauso wenig Mainstream war wie sie. Und Anne.
»Hängste jetzt mit dieser kleinen Strebertante rum?«, fragte Ami prompt. Klang da eine Spur Eifersucht in ihrer Stimme durch? Wäre ja albern, überlegte Cornelius. Ihr musste doch klar sein, dass er niemals etwas von ihr gewollt hätte. Ami sah aus wie eine lebende Leiche – außerdem stand er einfach nicht auf Drogen-Drama-Queens wie sie.
»Die ist keine Streberin«, sagte er nur. »Gerade du solltest nicht nach dem Äußeren urteilen, oder?«
»Erwischt«, gab Ami zu. »Aber die ist doch total langweilig! Die geht nie aus, die siehst du auf keiner Fete, in keiner Kneipe, gar nix. Nur im Schulchor singt das Engelchen, zwitscher, zwitscher.«
»Aber sie kennt Twin Peaks – im Gegensatz zu dir!«
Ami rutschte ein bisschen dichter an ihn heran, während sie drei Löffel Zucker in ihrem Espresso verrührte.
»Ich würde nichts lieber kennen lernen als Twin Keks«, flötete sie und rollte mit den Augen. »Lad mich doch mal auf dein Sofa ein, dann guck ich alle 97 Folgen am Stück mit dir.«
Cornelius schlürfte mit dem Espresso das nächste Lachen hinunter. »Peaks . Es heißt Twin Peaks. Und es gibt nur 29 Folgen plus Pilotfilm. Die Serie könnte dir schon gefallen – die
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