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Frostherz

Frostherz

Titel: Frostherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Broemme
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konnte! Immerhin überragte er sie, hatte keine Schwierigkeit, sie festzuhalten. Ob er ihren Onkel auch so festgehalten hatte?
    Sie kamen an eine niedrige, kaum hüfthohe Steinmauer. Der Wald war zu Ende. Hinter der Mauer ging es hinunter. Weit hinunter. Steil. Die Häuschen dort unten kleiner als Streichholzschachteln, ein Mensch kaum noch auszumachen. Einige Meter neben ihnen donnerte die Autobahn vorbei.
    Es wurde immer finsterer. Rosen schob sie dicht an die Mauer heran, glitschig war sie. Spitze Steine stießen in ihren Oberschenkel.
    »Spring«, zischte er ihr ins Ohr, beinah liebenswürdig.
    »Nein«, schrie sie. Scheiße, was sollte sie tun? »Ich weiß, wo das Buch ist!«
    Er hielt inne.
    »Du lügst«, sagte er dann. »Kleine Schlampe, willst mich verarschen!« Noch dichter presste er sie an die Mauer. Das Donnern der Autos. Der Regen in ihrem Gesicht, der Abgrund vor ihr. Ihr wurde schwindelig. Nicht sterben, dachte sie. Nicht sterben… und mit einem Mal flog das Messer durch die Luft. Rosen ließ sie so abrupt los, dass sie ins Torkeln geriet, schon beugte sich ihr Oberkörper rückwärts weit über die Mauer, sie sah den Himmel über sich, spürte, wie ein Bein in die Luft ragte, krallte sich mit den Händen an die spitzen, rauen Steine, drückte sich ab, drückte, als müsse sie einen Felsquader wegschieben, und dann riss etwas an ihrem Bein, zog es nach unten, sie spürte festen Boden, Gras unter sich, feuchtes, nasses Gras und die Mauer stand neben ihr und vom Tal war nichts mehr zu sehen und die Augen von Rosen fixierten sie von unten. Irritiert wischte sie sich die Augen. Keine Frage – Rosen lag neben ihr im Gras. Aber dann verschwand das Gesicht aus ihrem Blickfeld, sie richtete sich auf. Cornelius hatte seinen Vater an den Füßen gepackt, schleifte ihn über den Boden, der dicke Mann zappelte und wand sich und schrie. Aber Cornelius packte ihn unter den Armen, er war stärker, so viel stärker und schon lag der Lehrer quer auf der schmalen Mauer. Ein Arm hing in der Luft, ruderte. Mit einem Satz sprang Cornelius, dunkelrot im Gesicht, auf den Bauch seines Vaters und er schrie und schrie, erst nur Laute, unverständlich, wirr, abgehackt und das Messer tanzte über Rosens Bauch und Brust und Anne wich instinktiv zur Seite aus, bis sie die Mauer in ihrem Rücken spürte, sie zog die Beine an, legte die Arme darum, wollte ihr Gesicht verbergen, aber da schwang Cornelius etwas in der Luft.
    »Hier ist dein Scheiß-Buch«, schrie er und haute es seinem Vater auf den Kopf, ins Gesicht, von rechts und links, wieder und immer wieder. Und Rosen konnte nichts tun, weil Cornelius mit seinem großen Körper auf diesem kleinen, runden saß, die Arme des Mannes eingekeilt zwischen seinen Beinen.
    »Mach keinen Unsinn«, quäkte Rosen, aber Cornelius war nicht zu bremsen. »Du springst jetzt, du Schwein«, schrie er. »Oder ich stoße dich! Du hast so viele Leben zerstört! Das von Andreas, von Annes Vater und Großmutter, das von Vera und mein Leben hast du auch fast zerstört!«
    »Ich bin dein Vater«, kam es gepresst von Rosen. »Dieses Mädchen da und ihre Großmutter, die wollten mein Leben zerstören, unser Leben. Haben in der Vergangenheit gewühlt, irgendwelche Geschichten, die keinen mehr interessieren. Sie hat den Tod verdient!«
    »Du hast ihn verdient!« Cornelius’ Stimme überschlug sich. Er zog den Arm mit dem Messer ganz weit nach hinten, Rosen unter ihm wand sich, strampelte mit den Beinen, immer dichter gerieten sie an den Abgrund, das Messer sauste nach vorne, verfehlte den Körper des Lehrers, traf beim zweiten Mal die Schulter, Blut spritzte und dann endlich, endlich sprang Anne auf und sie zog mit ihrer ganzen Kraft an Cornelius. Der gab plötzlich nach, rutschte von der Mauer, sie prallte ab von ihm, flog auf den Hintern. Cornelius rappelte sich auf. Sie sah Rosen mit den Armen fuchteln, es gab einen kurzen Ruck und er fiel. Mitten in der Bewegung hielt Cornelius inne. Er sah sie an. Alles Leben in seinen Augen wirkte wie erloschen. Sein Vater lag ausgestreckt auf dem Rasen, die Augen geschlossen. Die Mauer hinter ihm von Blut verschmiert, Blut sickerte weiter aus dem Mann heraus. Cornelius sank auf die Knie, sein Arm, sein ganzer Körper streckte sich nach vorne, er begrub seinen Vater unter sich, der zuckend dalag. Sohn und Vater aufeinander, stumm, bewegungslos. Unter ihrer Hand spürte Anne den ledernen Einband des Büchleins.
    »Bleiben Sie liegen und bewegen Sie sich nicht«,

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