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Frostherz

Frostherz

Titel: Frostherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Broemme
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hörte sie da eine fremde Stimme. Sie sah auf. Vier Mann in dunkelblauen Overalls, dicker Weste darüber, Helm und Sturmhaube auf dem Kopf, ein Headset am Ohr, Mikro am Mund und ausgestreckte Waffen in der Hand. Mit einem Ruck riss einer von ihnen Cornelius von Rosen herunter. Matt sank er zu Boden. Es schien nicht so, als würde er noch wahrnehmen, dass der Lauf eines Maschinengewehrs auf ihn gerichtet war.
    »Alles in Ordnung?«, fragte der Dritte Anne und zu ihrer größten Verwunderung nickte sie.
    In Nebel gehüllt waren die nächsten Stunden zerflossen. Ihr Vater hatte darauf bestanden, dass sie ein Beruhigungsmittel nahm. Sie wusste nicht, warum, sie war doch ganz ruhig. Aber sie hatte nicht die Kraft, ihm zu widersprechen. Sie lag auf ihrem Bett, die Strahlen der untergehenden Sonne, die nun wieder zum Vorschein gekommen war, tanzten an der Wand. Sie versuchte, eine Bedeutung darin zu erkennen. Sie fand keine. In ihr war es ganz leer. Alles wie aus Watte. Sie hatte keine Bedürfnisse. Nicht schlafen, nicht essen, nicht reden, nicht denken. Einfach nur so liegen.
    Und doch flammten Bilder auf wie Filmszenen auf einer Leinwand. Eine heiße Tasse Tee, die ihr in die klammen Finger gedrückt worden war. Cornelius, unter einer Decke, zitternd und mit dem Blick eines kleinen Jungen, der seiner Mutter bedurfte. Seine geflüsterten Worte. »Nur so konnte ich dich retten«, sagte er immer und immer wieder und dann schließlich: »Glaubst du mir?« Sein erlöster Ausdruck, als sie nickte. Der schwer atmende, voluminöse Körper von Rosen auf der Trage eines Krankenwagens, jemand, der seine Faust gegen die Wunde an der Schulter drückte. Das verzerrte Gesicht ihres Vaters, der durch den Wald auf sie zugerannt kam, die Schmerzen von Jahrzehnten darin sichtbar. Das Erlahmen aller Muskeln, als er erkannte, dass seiner Tochter nichts passiert war. Die Tränen, die über seine Wangen liefen, Maritas Hand auf seiner Schulter.
    Auf der anderen Seite des Tals, wo der bleigraue Himmel auf strohhelle Felder traf, krachte ein einsamer Blitz wie eine Drohung. In der Pfütze neben ihr spiegelten sich von Sonnenstrahlen durchdrungene Wolkengebilde.
    »Anne?«, hörte sie eine sanfte Stimme. »Bist du wach?«
    Sie schob die Bettdecke ein wenig beiseite, blinzelte und erkannte ihren Vater. Sie setzte sich auf, gähnte.
    »Es ist schon halb elf. Du hast jetzt etwa 16 Stunden geschlafen. Hast du keinen Hunger?« Er lächelte liebevoll und platzierte ein Tablett auf ihrem Schreibtischstuhl, den er neben das Bett rollte. Der Duft des Kräutertees fachte ihre Lebensgeister endgültig wieder an.
    »Doch«, sagte sie.
    Ihre Stimme kratzte ein wenig, der Hals und die linke Schulter schmerzten, mit der war sie gegen die Mauer gekracht. Alles war wieder da. Dutzende Fragen fluteten gleichzeitig ihr Bewusstsein. Die erstbeste sprach sie aus. »Wie hast du uns eigentlich gefunden, gestern?«
    »Ich wollte noch ein paar Sachen aus dem Haus holen«, erklärte er. »Da sah ich den Brief. Ich konnte nicht glauben, was darin stand. Dann ging irgendwie alles ganz schnell. Ich habe die Polizei angerufen, ich habe ihnen gesagt, dass ich vermute, dass ihr an der Talbrücke seid. Weil sich Andreas dort ja… Alles andere machte die Polizei.« Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich dachte, jetzt verliere ich auch noch dich.«
    Sie nahm seine Hand, streichelte seine Finger. Er räusperte sich.
    »Du hast Besuch«, sagte er dann und es war der normalste und gleichzeitig wundersamste Satz, den sie je aus seinem Mund gehört hatte. Jetzt verließ er auch noch das Zimmer. Und dann stand Cornelius da. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, sie war so erschöpft. Er bewegte sich nicht, eine Schaufensterpuppe.
    »Komm schon, Agent Cooper«, ihre Tränen vermischten sich mit kleinen Glucksern, die tief aus ihrem Innern aufstiegen. »Komm schon her.« Und das tat er dann.

Sechs Monate später
    Der Wind ließ die ersten Schneeflocken des Winters wie Derwische herumwirbeln. Anne hatte ihre kalte Hand tief in Cornelius’ Jackentasche gesteckt und genoss die Wärme seiner Finger. Sie standen dicht beieinander, ihre Rechte und seine Linke umklammerten ein großes Pappplakat. Anne schielte zu Marita hinüber, die Johann von hinten umarmte. Auch er hielt ein Plakat in Händen. Noch war der Platz vor dem Gericht recht leer. Aber dann tauchten die anderen aus verschiedenen Richtungen auf. Etwa zehn Männer, alle im Alter von Johann, manche ein wenig älter, manche etwas

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