Frostkuss
meine Mom hatte mir immer gesagt, ich solle meinen Instinkten vertrauen, und das würde ich auch tun.
»Weil sich zumindest irgendwer dafür interessieren sollte, was ihr zugestoßen ist«, sagte ich mit leiser Stimme. »Jemandem sollte es leidtun, dass sie umgebracht wurde, selbst wenn niemand Jasmine wirklich mochte.«
»Vielleicht«, meinte Logan. »Aber Metis, Ajax, Nickamedes und alle anderen glauben, dass ein Schnitter Jasmine umgebracht und die Schale der Tränen gestohlen hat. Der Kerl, wer auch immer er war, ist schon lang verschwunden.«
Wieder zuckte ich mit den Schultern. »Vielleicht. Aber irgendwas an der ganzen Sache fühlt sich für mich falsch an. Vielleicht liegt es daran, dass meine Mom bei der Polizei war. Sie hat mir immer gesagt, ich soll auf meine Instinkte hören.«
»War?«, fragte Logan leise, weil er die Vergangenheitsform bemerkt hatte.
»Sie ist vor einem halben Jahr gestorben«, erklärte ich. »Wurde von einem betrunkenen Autofahrer bei einem Unfall getötet. Das hat zumindest die Polizei gesagt.«
Noch während ich sprach, wurde meine Kehle eng, und ich musste plötzlich gegen heiße Tränen anblinzeln. Wieder einmal zog sich mein Herz vor Schmerz, Wut und Schuldgefühlen wegen des Tods meiner Mom zusammen, als schlänge sich eine Würgeschlange immer enger um ihr Opfer, bis jedes Leben daraus gewichen war. So fühlte ich mich im Moment. Ich konnte nicht einmal atmen, ohne dass es so sehr wehtat.
»Es tut mir leid«, sagte Logan.
Ich nickte ihm zu, traute mich aber nicht, etwas zu sagen.
Ein paar Minuten später erreichten wir das Styx-Wohnheim. Das Licht über der Eingangstür brannte, aber das Wohnheim selbst war ruhig. Alle anderen mussten immer noch beim Lagerfeuer sein. Ich ging die Stufen zu der Veranda hoch, die sich um das Gebäude zog, und Logan folgte mir.
Er trat so dicht an mich heran, bis ich nichts anderes mehr sehen, fühlen und hören konnte als ihn. Schwarzes Haar, eisblaue Augen, kantiges Kinn, breite Brust. Er sah aus wie immer, ein cooler Junge, der genau wusste, wie sexy er war. Aber irgendwie erschien Logan mir jetzt viel nobler, tapferer und stärker. Als stecke noch viel mehr in ihm als nur sein vernichtendes Lächeln, sein Charme und seine angebliche Fähigkeit, einem Mädchen in unter fünf Sekunden den BH auszuziehen und schon zehn Sekunden später kurzen Prozess mit ihrem Höschen zu machen.
Vielleicht lag es daran, dass Logan heute Nacht mein Leben gerettet hatte. So etwas würde jedes Mädchen dazu bringen, einiges von ihm zu halten. Oder vielleicht gehörte es einfach zu dem, was ihn ausmachte, war Teil seiner spartanischen Herkunft, gehörte dazu, wenn man zu dem mächtigen Kämpfer wurde, der zu sein ihm offensichtlich bestimmt war.
Ich dachte daran zurück, wie er sich so gelassen dem Nemeischen Pirscher entgegengestellt und tatsächlich gelächelt hatte, während er gegen dieses schreckliche Monster kämpfte. Logan ließ mich glauben, dass alles irgendeinem Zweck folgte. Zumindest für heute Abend. Dass der Chaoskrieg und die Schnitter und Loki real waren, ja, aber dass es eben auch die Guten gab, wie Spartaner und Amazonen und Walküren, die bereit waren, aufzustehen und gegen die Bösen zu kämpfen.
Was immer es war, dieses plötzliche Gefühl brachte mich zum Zittern, obwohl auch Hitze in meinem Bauch aufstieg wie eine Blume, die sich langsam öffnet und der Sonne entgegenstrebt. Ich stellte fest, dass ich die Hände nach Logan ausstrecken und ihn berühren wollte, egal wie eigenartig, falsch oder dumm das auch sein mochte.
»Kann ich dich was fragen?«, sagte Logan, legte den Kopf schräg und sah mich an.
»Sicher.«
»Was ist das mit dir und den ganzen Comics?«
Das war so ungefähr das Letzte, was ich zu hören erwartet hatte. Ich blinzelte. »Was?«
»Ich habe sie an dem Tag gesehen, als du mich auf dem Hof angerempelt und deine Tasche fallen gelassen hast. Warum magst du sie so sehr?«, fragte Logan. »Wir gehen quasi in einem Comic zur Schule. Die heutige Nacht sollte dir das bewiesen haben. Du musst sie eigentlich nicht lesen.«
»Ich mag sie einfach«, erklärte ich. »Mochte sie schon immer.«
Es stimmte. Ich hatte Geschichten von Leuten mit unglaublichen Fähigkeiten immer geliebt, von aufrechten Menschen, die Gutes taten und immer wieder im letztmöglichen Moment die üblen Pläne der Bösen durchkreuzten. Aber in letzter Zeit las ich immer mehr davon, vergrub mich in den farbenfrohen Seiten, als könnte das Mitleben
Weitere Kostenlose Bücher