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Frühlingserwachen (Winterwelt Trilogie) (German Edition)

Frühlingserwachen (Winterwelt Trilogie) (German Edition)

Titel: Frühlingserwachen (Winterwelt Trilogie) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Stoye
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Vater gestorben war. Sie erinnerte sich an seine Stimme und hörte immer wieder, wie er sagte, dass er sie liebe und stolz auf sie sei. Doch selbst diese schönen Gedanken brachten sie nicht zum Ziel, sondern verursachten ein Gefühlschaos in ihrem Innern, welches es ihr unmöglich machte, sich konzentrieren zu können. Entnervt öffnete Arrow die Augen und entledigte sich ihrer schweren Tasche, und als plötzlich das Buch von Charles Dickens dort heraus purzelte, war Arrows Kopf vor lauter Überraschung wie leergefegt. Die Welt um sie herum veränderte sich und sie begann zu lächeln, denn sie wusste genau, was gleich passieren würde. Zuversichtlich streckte sie ihre Hände gen Himmel, und bevor irgendwelche neuen Zweifel von ihr Besitz ergreifen konnten, wurde sie auch schon gepackt und flog mit dem Wind aus ihren Träumen über Welten aus tausend Märchen. Zusammen überquerten sie dunkle Ozeane, erzeugten einen Wirbelsturm in einer trostlosen Sandwüste, beraubten einen Wald all seiner Blätter und schoben dicke Wolken über einen gerade noch strahlend blauen Sommerhimmel.
    Arrow fühlte sich so lebendig wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Dieser Wind war ein Teil von ihr. Schon viel zu lange hatte sie ihn tief in ihrem Innern weggesperrt. Allein die Angst vor der Unbefangenheit hatte nicht schon früher vermocht, ihn aus seinem tiefen Schlaf zu wecken. Doch auf eine ganz bestimmte Art und Weise war er schon immer da gewesen. Mit Hilfe von Charles Dickens hatte sie ihm ein Gesicht gegeben und an die Oberfläche geholt. Einst hatte es eine Zeit gegeben, in der Arrow mit sich selbst nie ganz zufrieden gewesen war. Ständig hatte sie über jede ihrer Handlungen zu viel nachgedacht, war zu oft zurückgeschreckt vor ihren eigenen Gedanken und unfähig, sich selbst so zu akzeptieren, wie sie nun einmal war. Doch wer sollte sie schon ernst nehmen, wenn sie es selbst noch nicht mal konnte? Und nun hatte sie den Wind aus ihrem Innern befreit und liebte, wie er war, und alles, was er tat. Er erlaubte sich einen Schabernack ohne Reue, fürchtete keine Konsequenzen, sondern stellte sich ihnen, und vor allem versteckte er sich nicht vor der Welt. Zweifellos gab es noch immer Grenzen, die er um nichts in der Welt überschreiten würde. Es war der Pfad zwischen einem kleinen Spaß und Dingen, die einfach falsch waren. Absichtlich würde er niemals jemandem ernsthaften Schaden zufügen. Doch es gab ein gewisses Maß der Unbekümmertheit, das er sich zeitweise selbst gönnte, um sein Leben zu genießen. Gelegentlich musste er dafür sorgen, dass die strahlende Frühlingssonne von einigen dunklen Regenwolken verdeckt wurde und dass die Bäume im Herbst ihre Blätter verloren. Doch ganz egal, wie viel Missgunst er auch immer dafür ernten würde – es kümmerte ihn nicht, denn es gehörte zu seinen Aufgaben und auch das brachte das Leben nun einmal mit sich. Deshalb ging die Welt nicht unter. Und als der Wind Arrow auf der Lichtung eines verträumten kleinen Wäldchens absetzte, verbeugte er sich voller Bewunderung vor ihr, denn er konnte in ihren Augen sehen, dass sie sich endlich aus den selbst auferlegten Fesseln befreit hatte. Anschließend flog er mit einem schelmischen Kichern davon.
    In gewisser Weise hatte sie sich gerade vor sich selbst verbeugt. Arrow fühlte, wie sie mehr und mehr zu der Person wurde, die sie schon immer hatte sein wollen. Mit leuchtenden Augen schaute sie ihrem unbeschwerten Freund hinterher, dessen Lachen noch eine ganze Weile nachhallte. Und als es schließlich verklungen war, schaute sie sich um.
    Anstelle dieses Waldes hatte sich hier offenbar einst ein Dorf oder ein kleines Städtchen befunden. Überall standen kleine Häuser, von denen die Natur schon lange Besitz ergriffen hatte. Fenster und Türen waren zerstört, einige der Fachwerkwände waren teilweise beschädigt oder völlig niedergerissen und in jeder Ecke – egal ob vor oder hinter den Mauern – wucherten mehr oder weniger junge Bäume.
    Mit großem Interesse betrachtete Arrow jedes Gebäude und fragte sich, warum eine Seele, die offenbar verzweifelt war, eine solch schöne Kulisse im Chaos erschaffen hatte. Im Grunde war dieser Ort von Einsamkeit geprägt, doch auf der anderen Seite wirkte alles überaus idyllisch und inspirierend. Überall wucherte Moos über entwurzelte Bäume und verkümmertes Mauerwerk. An lichteren Stellen ließen sich noch Salatköpfe und jede Menge anderer angebauter Gemüsearten finden. Kleine eingezäunte

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