Frühlingserwachen (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
zu Boden.
„Als erstes wird Samantha Davis in den Zeugenstand gerufen, ihres Zeichens ehemalige Geliebte des Angeklagten.“
Eine hübsche, junge Frau mit haselnussbraunem Haar und einer weißen Haube trat hervor. Den Gesichtszügen nach zu urteilen schien sie sehr warmherzig und freundlich zu sein.
„Er hat mich sterben lassen“, begann sie aus heiterem Himmel zu erzählen. „Als ich ihn damals kennen gelernt habe, war ich keine dreißig Jahre alt. Mein Mann war ein Jahr zuvor einem Geschwür erlegen und ich musste unsere vier Jungen allein durchbringen. Wie aus dem Nichts tauchte Melchior plötzlich auf. Er versprach mir ein besseres Leben und dass er sich um mich kümmern würde. Ich flehte ihn an, mich mit in sein Reich zu nehmen, doch er sagte, dass es viel zu gefährlich sei.
Zwei Jahre später bin ich dann an einer schweren Grippe erkrankt und habe ihn angefleht, mich genesen zu lassen, doch er hat mich nicht erhört. Immer wieder hatte er nur gemeint, dass es nicht in seiner Macht stünde, Krankheiten zu heilen. Doch ich weiß, dass es eine Lüge war!“
Lautes Murmeln erklang aus sämtlichen Richtungen. „Mörder! Betrüger!“, hörte Arrow die Leute rufen.
„Und dann“, sprach Samantha weiter, „hat er meine Kinder in sein Reich verschleppt und sie bei Leuten untergebracht, die er kaum gekannt hat. Sie haben ihn nie wieder gesehen.“ Dann veränderte sich Samanthas Gesichtsausdruck abrupt. Mit einem Mal wirkte sie schuldbewusst und verletzlich „Aber er hatte keine andere Wahl! Wären die Kinder bei ihm geblieben oder hätte man sie mit ihm in Verbindung gebracht, hätte das ihren sicheren Tod bedeutet. Er war auf der Flucht!“
Angespannt versuchte Arrow zu deuten, was da gerade vor sich ging. In einem Moment beschuldigte Samantha Melchior noch und im nächsten Augenblick rechtfertigte sie die Anschuldigungen vor sich selbst. Ihr ganzes Benehmen wirkte derart widersprüchlich, dass Arrow nicht durchschauen konnte, worauf die junge Frau hinaus wollte.
„Das alles tut nichts zur Sache“, sagte Samantha wieder in strengem Ton. „Er hat meine Kinder im Stich gelassen! Er hat mich im Stich gelassen ...“ Traurig senkte sie ihren Blick und verschwand wie ein zarter Nebelschleier.
„Als nächstes rufe ich Thomble Tamp in den Zeugenstand!“, meldete sich der Mann mit der Schriftrolle wieder zu Wort.
Ein griesgrämiger, alter Kobold trat in die Arena. Er wirkte überaus schmächtig, doch wenn es tatsächlich Wesen gab, dessen Blicke imstande waren, jemanden töten zu können, so war Arrow sich absolut sicher, dass man ihn dazu zählen konnte.
„Ich habe ihn damals angefleht, mir in Nebulae Hall Zuflucht zu gewähren. Sogar einen ganzen Topf voll Gold habe ich ihm dafür geboten! Aber er hat sich nicht erweichen lassen.“
Dann passierte mit dem Kobold genau das Gleiche wie zuvor mit Samantha Davis. Seine Gesichtszüge wurden weicher und voller Reue schossen ihm Tränen in die Augen. „In Nebulae Hall hat es keinen Platz mehr gegeben“, sagte er mit bebender Stimme. „Der gesamte Koboldstamm wollte dorthin umsiedeln und das war aufgrund der großen Anzahl einfach nicht möglich.“
Arrow überlegte. Was passierte da vorne wohl? Erst hagelte es Anschuldigungen und dann wieder Argumente, welche die ganze Situation entschärften. Waren Samantha und der Kobold Ankläger und Verteidiger zugleich?
„Unsere Lagerhöhlen sollten wir ausräumen und uns dort vor dem Winter schützen!“, sagte der Kobold wieder grimmig. „Aber wohin sonst hätten wir das viele Gold bringen sollen? Wir hatten nicht die geringste Wahl!“
„Das kann man so sehen, wenn einem ein Haufen glänzendes Metall wichtiger ist als das eigene Leben“, platzte es völlig unbedacht aus Arrow heraus.
Der Kobold erstarrte und die unzähligen Blicke der Anwesenden ruhten plötzlich auf Arrow. Eigentlich hatte sie gar nicht vorgehabt, sich in das Geschehen einzumischen, sondern wollte vielmehr dem Rat des Windes folgen und einfach nur beobachten. Doch erst jetzt, als sie von allen angestarrt wurde, wurde ihr bewusst, was sie getan hatte, und die erzürnten Blicke des Kobolds unterstrichen die Situation umso mehr. Aber was im ersten Moment unangebracht zu sein schien, fühlte sich auf einmal derart richtig an, dass Arrow am liebsten noch mehr dazu gesagt hätte, denn endlich bemerkte sie, dass sie sogar von ihrem Vater angeschaut wurde. Es war das erste Mal, dass er seinen Kopf gehoben hatte, und sein Blick wirkte
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