Frühlingserwachen (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
Weiden deuteten darauf hin, dass hier irgendwann auch einmal Nutztiere gehalten wurden. Alles wirkte so friedlich, als würde die Ruhe selbst hier wohnen.
Zarte Sonnenstrahlen tasteten zwischen den Bäumen den Waldboden ab und trotzdem schien es auf den ersten Blick, als würde es schneien. Doch was da so hübsch strahlend vom Himmel fiel, war nichts Anderes als die unzähligen Blüten weißer Vergissmeinnicht. Sie fielen auf den Boden, färbten sich blau und verwelkten dann innerhalb weniger Sekunden. Dieser Anblick ließ Arrow wachsam werden, denn er bestärkte sie in dem Gefühl, ihrem Ziel jetzt ganz nahe zu sein.
Plötzlich hörte sie das Rascheln vertrockneter Blätter und drehte sich um. In diesem Moment hätte sie wirklich alles erwartet, doch mit einem schwarz gefleckten Schwein, das wohl gelaunt und zutraulich zu ihr aufsah, hätte sie nie gerechnet. Von dieser netten Überraschung erfreut, hockte sie sich zu ihm und kraulte das niedliche Tierchen am Kopf, woraufhin es die Augen schloss und zufrieden grunzte.
„Na, meine Kleine“, sagte Arrow lächelnd. „Hat man dich hier etwa ganz allein gelassen?“
Als das Tier sie wieder ansah, erschrak Arrow, denn sie hätte schwören können, dass sie in zwei völlig unterschiedliche Augen schaute. Während das eine eindeutig zu einem Schwein gehörte, sah das andere nicht nur ganz anders aus, sondern wirkte auch noch überaus menschlich. Es war absolut verblüffend und Arrow hätte schwören können, dass es sie anlächelte, als es bemerkte, dass sie diesen Unterschied erkannte. Und während ihr endlich auffiel, dass dieses Tier genauso anmutete wie das Schwein, das Torra so oft auf Schritt und Tritt folgte, drehte es sich um und lief zwischen den Bäumen einfach davon. Arrows Überraschung wurde blitzschnell von dem Gefühl verdrängt, diesem Schwein unbedingt folgen zu müssen. So sprang sie auf und rannte ihm so schnell sie konnte hinterher. Doch schon nach der ersten Abbiegung hatte sie es aus den Augen verloren.
Als Arrow die Gegend nach dem Schweinchen absuchte, gab es weit und breit nicht den geringsten Hinweis auf seinen Verbleib. Nicht einmal Spuren waren in dem angenehm weichen Waldboden zu entdecken. Verwirrt schüttelte Arrow den Kopf. „Vergiss nicht, wo du dich befindest“, sagte sie sich immer wieder. „Hier ist nichts normal. Es müssen keine Spuren vorhanden sein. Immerhin existiert das Schwein selbst auch nicht wirklich.“ Aber das alles hier könnte real sein, denn dieser Ort ist einfach wunderschön, dachte sie im Stillen.
Plötzlich ertönte ein Quieken. Es klang hallend und kam nicht aus unmittelbarer Nähe. Doch am seltsamsten war, dass es sich anhörte, als würde es unter ihr im Boden sein.
Aufmerksam schlich Arrow um die gewaltig großen Bäume herum und entdeckte nur auf den zweiten Blick das völlig mit Moos bewachsene Felsgestein. Jede Menge Gestrüpp hatte es derart gut getarnt, dass es sich beinahe unsichtbar in die Waldlandschaft eingefügt hatte.
Als Arrow vorsichtig näher trat und behutsam das Blattwerk beiseite schob, entdeckte sie einen Eingang. Er war nicht besonders groß und führte über eine Treppe direkt hinab. Immer wieder fragte sie sich, in wessen Traumwelt sie da wohl hineingeraten war. Alles wirkte derart normal, dass es ihr regelrecht Angst einjagte. Es wäre ihr lieber gewesen, von vornherein in einer völlig chaotischen Welt zu landen. Da hätte sie sich von Anfang an auf die Situation einstellen können. Hier musste sie jedoch mit allem rechnen. Und dass es nicht stetig so ruhig bleiben würde, war ihr absolut klar. Immerhin befand sie sich hier in der Welt hinter den Welten. Es war der Platz, an dem geschundene Seelen verweilten, die nicht in die Hölle gehörten, sich selbst jedoch als derart wertlos erachteten, dass sie einen Platz im Himmel regelrecht ablehnten. Alles, was ihnen am Ende noch blieb, waren Selbstzweifel, Selbstvorwürfe und die zermalmende Eigenschaft, nichts mehr etwas Schönes abgewinnen zu können. Wer in diese Welt gelangte, bestrafte sich selbst – erlitt mitunter sogar schlimmere Qualen als jene, mit denen Hel in der Hölle hart ins Gericht ging.
Es war dunkel in der Höhle. Die Treppenstufen waren schmal und fühlten sich schmierig an. Arrow wurde ganz mulmig zumute. Dunkelheit war schon schwer genug zu ertragen, wenn man wusste, wo es lang ging. Doch wenn man nicht einmal eine Ahnung hatte, wie viele Stufen es bis zum Ziel waren, machte es die Sache unerträglich. Und
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