Frühstück im Bett
einen Schrein gehütet. In den hölzernen Regalen standen immer noch die verkrusteten Töpfe, in die Ash vor fünfzig Jahren seine Pinsel getaucht hatte, um Farbe auf seine Meisterwerke zu schleudern. Weil die beiden Fenster nur wenig Licht einließen, hatte er hinter dem geöffneten Garagentor gearbeitet und seine Leinwände auf den Boden gelegt. Vor einigen Jahren hatte Tallulah eine schützende Plastikdecke über den Teppich mit den Farbspritzern gebreitet. Jetzt waren die Farben unter Schmutz und Staub und toten Insekten kaum zu sehen. Neben einer Werkbank voller Pinsel, Messer und Spachteln – willkürlich verstreut, als hätte Ash seine künstlerische Tätigkeit kurz unterbrochen, um eine Zigarette zu rauchen – lehnte eine Leiter an der Wand, ebenfalls mit Farbe befleckt, in einer Plastikhülle. Natürlich erwartete Sugar Beth nicht, die mürrische Tante hätte das kostbare Gemälde für ihre Nichte direkt bei der Tür deponiert. Aber es wäre nett gewesen. Sie unterdrückte einen Seufzer und beschloss, die Suche auf den nächsten Morgen zu verschieben.
Gordon folgte ihr ins Haus zurück. Als sie eine Stehlampe mit Fransen anknipste, wuchs die Verzweiflung, die sie seit Wochen plagte. Vor fünfzehn Jahren hatte sie Parrish verlassen, eine arrogante, rachsüchtige dumme Kuh – unfähig, sich ein Universum vorzustellen, das sich nicht um sie drehte. Bedauerlicherweise hatte das Universum unbändig gelacht.
Bedrückt ging sie zu einem Fenster und zog den staubigen Vorhang beiseite. Hinter der Hecke sah sie die Schornsteine von Frenchman’s Bride emporragen. So hatte schon das Heim
des ersten Siedlers an dieser Stelle geheißen. Sehr viel später hatte ihre Großmutter das Haus entworfen. Vom Großvater war es gebaut, vom Vater modernisiert und von Diddie mit Liebe überschüttet worden. Eines Tages wird Frenchman’s Bride dir gehören, Sugar Baby.
In alten Zeiten hätte ihr die Ungerechtigkeit des Schicksals Tränen entlockt. Jetzt ließ sie den Vorhang fallen und wandte sich von der deprimierenden Aussicht ab, um ihren unsympathischen Hund zu füttern.
Colin Byrne stand am Fenster des Herrschaftsschlafzimmers im ersten Stock von Frenchman’s Bride. In der düsteren Eleganz seiner äußeren Erscheinung schien er einer längst vergangenen Epoche zu entstammen, vielleicht dem englischen Regency oder einer ähnlichen, von Monokeln, Schnupftabakdosen und vornehmen Salons geprägten Ära. Unter seinen tief liegenden jadegrünen Augen überschatteten hohe, vorstehende Wangenknochen kommaförmige Furchen, die zu dünnen Lippen führten. Nur ganz selten verzog sich sein Mund zu einem Lächeln. Er besaß das lange, schmale Gesicht eines Dandys, das beinahe schwächlich aussah. Zumindest hätte es so gewirkt, ohne die große, knochige, aristokratische, unglaublich hässliche Nase, die perfekt zu den übrigen Zügen passte.
Sein Smokingjackett aus violettem Samt trug er so lässig wie ein anderer Mann ein Sweatshirt. Dieses Outfit ergänzten eine schwarzseidene Pyjamahose und Pantoffel mit scharlachroten chinesischen Symbolen an den Zehenspitzen. Die maßgeschneiderte Kleidung umhüllte einen hoch gewachsenen, breitschultrigen Körper. Doch die großen Arbeiterhände mit den dicken Fingern erweckten den Eindruck, dass nichts an Colin Byrne dem äußeren Schein entsprach.
Während er durch das Fenster die Lichter beobachtete, die
im Kutschenhaus aufflammten, presste er die verkniffenen Lippen noch fester zusammen. Also stimmten die Gerüchte – Sugar Beth Carey war zurückgekehrt.
Vor fünfzehn Jahren, mit zweiundzwanzig, hatte er sie zuletzt gesehen, ein selbstgefälliger Junge, ein exotischer Ausländer, in einem Südstaatennest gelandet, um seinen ersten Roman zu schreiben und – ach ja – in seiner Freizeit als Lehrer zu arbeiten. Irgendwie befriedigte es ihn, dass sein Groll schon so lange gärte. Wie exzellenter französischer Wein nahm das Gefühl zunehmend komplexere Aspekte an und entwickelte subtile Nuancen, die eine schnelle Lösung des Problems niemals zugelassen hätte.
Erwartungsvoll zog er die Mundwinkel hoch. Vor fünfzehn Jahren war er machtlos gegen Sugar Beth gewesen. Das hatte sich inzwischen geändert.
Damals war er aus England nach Parrish gekommen, um an der High School zu unterrichten, obwohl er diesen Beruf hasste und auch kein Talent dafür besaß. Aber in Parrish hatte man, wie in anderen kleinen Mississippi-Gemeinden, verzweifelt Lehrer gesucht. Ein Komitee, dem führende
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