Frühstück mit Kängurus
Straßen strahlenförmig abzweigten und man immer den gleichen Anblick australischer Vorortparadiese genoss. Obwohl ich dann die Straße hinunterging, die mich am ehesten zurück in die Zivilisation zu führen versprach, fand ich mich unweigerlich zehn Minuten später an einem neuen, genau gleich aussehenden Kreisverkehr wieder. Niemals sah ich einen anderen Menschen zu Fuß laufen oder den Rasen sprengen oder andere häusliche Tätigkeiten verrichten. Ganz gelegentlich glitt ein Auto an mir vorbei, das an jeder Kreuzung hielt und dessen Fahrer sich mit verzweifelter Miene umschaute, als wolle er sagen: »Verdammte Scheiße, wo ist mein Haus?«
Ich suchte eine hübsche Kneipe, wie ich sie so oft und gern in Sydney frequentiert hatte, eine Kneipe, in der sich Büroangestellte am Ende eines langen Arbeitstages entspannten und die zu dieser Tageszeit so begehrt war, dass sich jede Menge glücklicher Menschen, die nicht hineinkamen, draußen auf dem Bürgersteig verlustierten. Danach wollte ich in einem bezaubernden Restaurant gleich daneben (gewaltige Portionen) zu Abend speisen. Doch an Vergnügungsstätten dieser, ja überhaupt jeglicher Art mangelte es den verschlafenen Straßen Canberras eklatant. Endlich bog ich um eine Ecke und befand mich jäh im Hauptgeschäftsviertel. Hier waren sie, die Läden und Restaurants und all die anderen kommerziellen Einrichtungen einer Großstadt. Alle geschlossen. Die Innenstadt von Canberra bestand im Wesentlichen aus einer Reihe von Plätzen zwischen Geschäften und war bis auf ein Rattern und Rumpeln, das ich rasch als Geräusch von Skateboards identifizierte, bar jeden Lebenszeichens. Weil ich nichts Besseres zu tun hatte, folgte ich den Geräuschen zu einem offenen Platz, auf dem ein paar Halbwüchsige mit umgekehrt aufgesetzten Basecaps und schlabbrigen Hosen ihre fehlgeleiteten bescheidenen Fähigkeiten auf einem Metallgeländer zu verfeinern trachteten. Eine Minute lang setzte ich mich auf eine Bank und beobachtete mit morbidem Interesse, wie sie komplizierte Brüche und schwere Hodentraumen riskierten, um der flüchtigen Befriedigung willen, eine Strecke von null Zentimetern bis zu ein paar Metern an einem Geländer entlangzugleiten. Wenn es etwas Dämlicheres gibt, als sechs pubertierende Jugendliche mit umgekehrt aufgesetzten Basecaps zu fragen, wo man am besten speist, dann war es mir in dem Moment nicht klar. Denn leider tat ich genau das.
» Sind Sie Amerikaner? « , fragte einer der Jungs so ü berrascht, wie ich es nicht unbedingt in einer Weltmetropole erwartet h ä tte.
Ich gestand.
» Gleich hier um die Ecke ist ein McDonald's. «
Behutsam erkl ä rte ich ihnen, dass es keine unverzichtbare Bedingung f ü r die US-amerikanische Staatsb ü rgerschaft sei, das Nationalgericht zu essen, und schloss mit: » Ich hatte eher an ein h ü bsches ThaiRestaurant gedacht. «
Sie schauten mich mit dieser perplexen » Und wo ist das Problem? « -Miene an, die man nur mit vierzehn ü berzeugend hinbekommt.
» Oder vielleicht ein indisches « , sagte ich hoffnungsfroh und erntete den gleichen stockdoofen Blick. » Indonesisch? Griechisch? Mexikanisch? Westindisch? Malaysisch? «
W ä hrend ich mich langsam in Rage redete, traten sie unbehaglich von einem Fu ß auf den anderen, als f ü rchteten sie, ich werde sie individuell f ü r die Unzul ä nglichkeiten der lokalen Feinschmeckerszene zur Verantwortung ziehen.
» Italienisch? « , sagte ich zum Schluss.
» In der Lonsdale Street ist ein Pizza Hut « , meldete sich einer mit triumphierendem Blick. » Dienstags gibt es ein B ü fett. Da kann man so viel essen, wie man will. «
» Danke « , sagte ich, begriff, dass ich hier nicht weiterkam, und wollte gehen. Doch dann drehte ich mich noch einmal um. » Heute ist Freitag « , sagte ich.
» Ja « , stimmte mir der Knabe ernsthaft nickend zu. » Freitags haben sie es nicht. «
Ich fand zur ü ck zum Rex, merkte aber in der Eingangst ü r, dass ich absolut keine Lust hatte, in meinem Hotel zu Abend zu essen. Es war so unoriginell und einsam - das blanke Eingest ä ndnis, dass man nichts Aufregenderes zu tun hat. Hatte ich ja auch nicht, aber das war auch gar nicht der Punkt.
Wissen Sie, was am deprimierendsten ist, wenn man allein in seinem Hotel isst? Wenn der Ober kommt und alle anderen Tischgedecke und Weingl ä ser wegnimmt, als wolle er sagen: » Mit Ihnen will offenbar heute keiner essen. Deshalb r ä umen wir den Tisch bis auf Ihr Gedeck sofort ab und setzen Sie
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