Frühstück mit Kängurus
durch die Hochhäuser seines innerstädtischen Geschäftsviertels fuhr, fühlte ich mich richtig ein bisschen, als käme ich nach Hause. Dort drüben war das erste australische Hotel, in dem ich übernachtet, dort das erste Cafe, in dem ich gesessen, dort das berühmte Cricketstadion, in dem ich einmal drei heitere, wenn auch verwirrende Stunden verbracht, nämlich einem Australian Rules Football-Spiel zugeschaut und zum ersten und letzten Mal eine Four-and- twenty-pie verzehrt hatte, eine Pastete »aus echten Amseln«, wie man mir schelmisch versicherte. Insofern eine solche Aussage überhaupt einen Sinn hat, war Melbourne in Australien mein Zuhause.
Den meisten Leuten (und wenn ich »die meisten Leute« sage, meine ich natürlich mich, als ich das erste Mal dort ankam) ist nicht klar, dass Melbourne lange Australiens bedeutendste Stadt war. Obwohl Sydney seit einem Jahrhundert ein wenig größer ist (Melbourne hat dreieinhalb Millionen Einwohner, Sydney vier), war Melbourne bis vor relativ kurzer Zeit das Zentrum, besonders im Bereich Finanzen und Kultur. Sydney kompensierte das mit groben, aber meist hervorragenden Witzen darüber, dass in Melbourne angeblich immer tote Hose herrscht - wie dem folgenden:
» Haben Sie Kinder? «
» Ja, zwei leben, und eins ist in Melbourne. «
Heutzutage macht Sydney immer noch Witze ü ber Melbourne, obwohl es ihm die Schau gestohlen hat, was die Melbourner nat ü rlich hart ankommt. Nichts illustriert die sich ä ndernde Gewichtung der beiden St ä dte besser als die Tatsache, dass 1956 Melbourne den Zuschlag f ü r die Olympischen Spiele erhielt und f ü r das Jahr 2000 Sydney. Es gibt noch viele andere Beispiele. 1956 hatten f ü nfzig der gr öß ten Firmen in Australien ihre Zentralen in Melbourne und nur siebenunddrei ß ig in Sydney. Heute ist es fast umgekehrt. Vor einer Generation w ä hlten internationale Firmen automatisch Melbourne als Hauptsitz in Australien; heute entscheiden sich zwei Drittel f ü r Sydney. F ü r eine Stadt, die Sydney f ü r intellektuell so spr ü hend wie, sagen wir es ruhig, das vormitt ä gliche Fernsehprogramm gehalten hat, ist es allerdings am bittersten, mit ansehen zu m ü ssen, wie die Rivalin ihr immer mehr ihre kulturelle Vorherrschaft entrei ß t, im Verlagswesen, Film und Fernsehen, in der Mode und allen Darstellenden K ü nsten. Fr ü her habe ich meine australischen Verleger in Melbourne besucht, heute besuche ich sie in Sydney.
Davon und von dem riesigen Vorteil in punkto Sch ö nheit abgesehen, den Sydney wegen seines Hafens besitzt, nehmen sich die beiden St ä dte eigentlich nichts, was Lebensqualit ä t oder kulturelles Angebot betrifft. Es gibt jedenfalls viel weniger Unterschiede zwischen ihnen als zwischen Los Angeles und New York oder Birmingham und London.
Melbourne hat zwar keine so sch ö ne Harbour Bridge und kein Opernhaus, doch es hat etwas, das auf seine Art nicht minder einzigartig ist: die bizarrsten RechtsabbiegerRegeln der Welt. Wenn man - nat ü rlich auf der linken Seite - durchs Stadtzentrum f ä hrt und rechts abbiegen will, f ä hrt man nicht in die Mitte der Fahrbahn, sondern hin ü ber zum linken Bordstein - also so weit wie m ö glich weg von dort, wo man hin will -, bleibt dort endlos lange stehen (ich, bis s ä mtliche Clubs und Restaurants geschlossen und alle Leute nach Hause gegangen sind) und biegt dann in einem wahnsinnigen Moment, kurz bevor die Ampeln umspringen, ab. Und das nur, damit man den Stra ß enbahnen - auch eine Spezialit ä t Melbournes - nicht in die Quere kommt. Sie fahren in der Mitte der Stra ß e, und da sollen ihnen ja nicht dauernd abbiegende Autos den Weg versperren. Es ist furchtbar verwirrend, nicht nur f ü r Besucher aus Ü bersee, sondern auch f ü r Australier von anderswoher und sicher auch f ü r viele Melbourner selbst.
Wodurch sich Melbourne aber wirklich auszeichnet, ist seine Liebe zum Australian Rules Football, einer Sportart, die in Sydney oder New South Wales, wo alle Leidenschaft dem Rugby gilt, kaum betrieben wird. Interessant ist, dass Melbourner keine Witze über Sydney reißen. Sie erzählen Witze über ihren geliebten footy. Und zwar:
Ein Mann kommt zum großen Finale in Melbourne und sieht zu seiner Überraschung, dass der Platz neben ihm leer ist. Normalerweise sind die Eintrittskarten für das große Finale Wochen im Voraus ausverkauft und leere Plätze unbekannt. Also sagt er zu dem Mann auf der anderen Seite des Sitzes: »Entschuldigung, wissen
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